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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Gefahr einer definitiven Auflösung, als das Schisma hin-1. Abschnitt.
zutrat, als weder der römische noch der avignonesische Papst
reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu
unterwerfen, aber nach der Herstellung der Kircheneinheit
gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang
abermals nachdem sich die Gefahr unter Eugen IV. er-
neuert hatte. Allein der Kirchenstaat war und blieb einst-
weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens;
in und um Rom trotzten dem Papstthum die großen Adels-
familien der Colonna, Savelli, Orsini, Anguillara u. s. w.;
in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar
jetzt fast keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einst
das Papstthum für ihre Anhänglichkeit so wenig Dank ge-
wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner
Fürstenhäuser, deren Gehorsam und Vasallentreue nicht viel
besagen wollte. Als besondere, aus eigener Kraft bestehende
Dynastien haben sie auch ihr besonderes Interesse und in
dieser Beziehung ist oben (S. 28, 44) bereits von den
wichtigsten derselben die Rede gewesen.

Gleichwohl sind wir auch dem Kirchenstaat als GanzemSeine besonde-
ren Gefahren.

hier eine kurze Betrachtung schuldig. Neue merkwürdige
Krisen und Gefahren kommen seit der Mitte des XV. Jahr-
hunderts über ihn, indem der Geist der italienischen Politik
von verschiedenen Seiten her sich auch seiner zu bemächtigen,
ihn in die Pfade seiner Raison zu leiten sucht. Die ge-
ringern dieser Gefahren kommen von außen oder aus dem
Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der
Päpste selbst.

Das transalpinische Ausland darf zunächst außer Be-
tracht bleiben. Wenn dem Papstthum in Italien eine
tödtliche Bedrohung zustieß, so hätte ihm weder Frankreich
unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Rosen-
kriege, noch das einstweilen gänzlich zerrüttete Spanien,
noch auch das um sein Basler Concil betrogene Deutschland
die geringste Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können.

Gefahr einer definitiven Auflöſung, als das Schisma hin-1. Abſchnitt.
zutrat, als weder der römiſche noch der avignoneſiſche Papſt
reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu
unterwerfen, aber nach der Herſtellung der Kircheneinheit
gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang
abermals nachdem ſich die Gefahr unter Eugen IV. er-
neuert hatte. Allein der Kirchenſtaat war und blieb einſt-
weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens;
in und um Rom trotzten dem Papſtthum die großen Adels-
familien der Colonna, Savelli, Orſini, Anguillara u. ſ. w.;
in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar
jetzt faſt keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einſt
das Papſtthum für ihre Anhänglichkeit ſo wenig Dank ge-
wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner
Fürſtenhäuſer, deren Gehorſam und Vaſallentreue nicht viel
beſagen wollte. Als beſondere, aus eigener Kraft beſtehende
Dynaſtien haben ſie auch ihr beſonderes Intereſſe und in
dieſer Beziehung iſt oben (S. 28, 44) bereits von den
wichtigſten derſelben die Rede geweſen.

Gleichwohl ſind wir auch dem Kirchenſtaat als GanzemSeine beſonde-
ren Gefahren.

hier eine kurze Betrachtung ſchuldig. Neue merkwürdige
Kriſen und Gefahren kommen ſeit der Mitte des XV. Jahr-
hunderts über ihn, indem der Geiſt der italieniſchen Politik
von verſchiedenen Seiten her ſich auch ſeiner zu bemächtigen,
ihn in die Pfade ſeiner Raiſon zu leiten ſucht. Die ge-
ringern dieſer Gefahren kommen von außen oder aus dem
Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der
Päpſte ſelbſt.

Das transalpiniſche Ausland darf zunächſt außer Be-
tracht bleiben. Wenn dem Papſtthum in Italien eine
tödtliche Bedrohung zuſtieß, ſo hätte ihm weder Frankreich
unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Roſen-
kriege, noch das einſtweilen gänzlich zerrüttete Spanien,
noch auch das um ſein Basler Concil betrogene Deutſchland
die geringſte Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können.

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[103/0113] Gefahr einer definitiven Auflöſung, als das Schisma hin- zutrat, als weder der römiſche noch der avignoneſiſche Papſt reich genug war um den von Neuem verlorenen Staat zu unterwerfen, aber nach der Herſtellung der Kircheneinheit gelang dieß unter Martin V. doch wieder, und gelang abermals nachdem ſich die Gefahr unter Eugen IV. er- neuert hatte. Allein der Kirchenſtaat war und blieb einſt- weilen eine völlige Anomalie unter den Ländern Italiens; in und um Rom trotzten dem Papſtthum die großen Adels- familien der Colonna, Savelli, Orſini, Anguillara u. ſ. w.; in Umbrien, in der Mark, in der Romagna gab es zwar jetzt faſt keine jener Stadt-Republiken mehr, welchen einſt das Papſtthum für ihre Anhänglichkeit ſo wenig Dank ge- wußt hatte, aber dafür eine Menge großer und kleiner Fürſtenhäuſer, deren Gehorſam und Vaſallentreue nicht viel beſagen wollte. Als beſondere, aus eigener Kraft beſtehende Dynaſtien haben ſie auch ihr beſonderes Intereſſe und in dieſer Beziehung iſt oben (S. 28, 44) bereits von den wichtigſten derſelben die Rede geweſen. 1. Abſchnitt. Gleichwohl ſind wir auch dem Kirchenſtaat als Ganzem hier eine kurze Betrachtung ſchuldig. Neue merkwürdige Kriſen und Gefahren kommen ſeit der Mitte des XV. Jahr- hunderts über ihn, indem der Geiſt der italieniſchen Politik von verſchiedenen Seiten her ſich auch ſeiner zu bemächtigen, ihn in die Pfade ſeiner Raiſon zu leiten ſucht. Die ge- ringern dieſer Gefahren kommen von außen oder aus dem Volke, die größern haben ihre Quelle in dem Gemüth der Päpſte ſelbſt. Seine beſonde- ren Gefahren. Das transalpiniſche Ausland darf zunächſt außer Be- tracht bleiben. Wenn dem Papſtthum in Italien eine tödtliche Bedrohung zuſtieß, ſo hätte ihm weder Frankreich unter Ludwig XI., noch England beim Beginn der Roſen- kriege, noch das einſtweilen gänzlich zerrüttete Spanien, noch auch das um ſein Basler Concil betrogene Deutſchland die geringſte Hülfe gewährt oder auch nur gewähren können.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/113>, abgerufen am 28.03.2024.