Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
zelnen würden vom Staate nicht fordern als von einem ihnen
gegenüber verpflichteten Schuldner, sondern als vom Vollzieher
der gesetzlichen Befehle. Diese objektiven Gesetzesnormen, auf
gegebene Tatsachen bezogen, ergäben allerdings konkrete "Ver-
pflichtungen und "Berechtigungen", aber eben nicht subjektive,
d. h. Rechte und Pflichten, deren Bestand oder Nichtbestand von
subjektiver Entschließung (des Berechtigten) abhängig wäre.
Was der einzelne zu leisten hätte (was der Staat also berechtigt
wäre zu fordern), das könnte ihm der Staat nicht erlassen, und was
der Staat zu leisten verpflichtet wäre, das könnte ihm der ein-
zelne nicht erlassen, wenngleich er vielleicht davon nicht Gebrauch
machen müßte1. Es hat also hier keinen Sinn, von subjektiven
Rechten des Staates gegenüber den einzelnen oder der einzelnen
gegenüber dem Staate zu sprechen, weil dasjenige fehlt, was die
subjektive Berechtigung ausmacht: die subjektive Verfügung
(durch die Möglichkeit des Verzichtes) über die Verpflichtung
eines andern. "Das Meine wäre nicht mein, könnte ich es nicht
veräußern", sagt in etwas umständlicheren Worten J. Chr.
Meister,
Lehrbuch des Naturrechts, 1809, zur Begründung der
Verbindlichkeit der Verträge. Eben deshalb kann man sich wohl
vorstellen, wie vorhin bemerkt, daß alles Recht öffentliches,
zwingendes, sei, nicht aber umgekehrt, daß alles Recht Privatrecht
sei. Bekanntlich wurde lange Zeit auch das, was wir Verfassungs-
recht nennen, in subjektive Rechte mehrerer Personen, z. B. des
Landesherrn im Verhältnis zu seinen Lehensträgern oder zu seinen
Städten oder Ständen, oder des Landesherrn schlechthin (im Ver-
hältnis zu anderen Landesherren) aufgelöst. Aber dieser Auffassung
haftet (ganz abgesehen vom lehensrechtlichen oder absolutistischen
Inhalte des Verfassungsrechtes des Mittelalters oder des Patri-
monialstaates) das Unbefriedigende an, daß staatliche Funktionen
zum Gegenstand subjektiver Rechte gemacht werden, d. h. eben
von Rechten, über die der Inhaber nach Belieben verfügen, auf
die er auch verzichten kann. Daß aber der Staat selbst, die zur

1 Denn es ist, wie unter Juristen nicht sollte zweifelhaft sein, ein
großer Unterschied zwischen zwischen demjenigen, der ein Recht nicht aus-
übt, und demjeneigen, der darauf verzichtet, demjenigen, der die Pflicht
eines anderen tatsächlich nicht verwertet, und demjenigen, der sie erläßt.
Das eine ist ein tatsächlicher Vorgang, das andere ein rechtlicher.

I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
zelnen würden vom Staate nicht fordern als von einem ihnen
gegenüber verpflichteten Schuldner, sondern als vom Vollzieher
der gesetzlichen Befehle. Diese objektiven Gesetzesnormen, auf
gegebene Tatsachen bezogen, ergäben allerdings konkrete „Ver-
pflichtungen und „Berechtigungen“, aber eben nicht subjektive,
d. h. Rechte und Pflichten, deren Bestand oder Nichtbestand von
subjektiver Entschließung (des Berechtigten) abhängig wäre.
Was der einzelne zu leisten hätte (was der Staat also berechtigt
wäre zu fordern), das könnte ihm der Staat nicht erlassen, und was
der Staat zu leisten verpflichtet wäre, das könnte ihm der ein-
zelne nicht erlassen, wenngleich er vielleicht davon nicht Gebrauch
machen müßte1. Es hat also hier keinen Sinn, von subjektiven
Rechten des Staates gegenüber den einzelnen oder der einzelnen
gegenüber dem Staate zu sprechen, weil dasjenige fehlt, was die
subjektive Berechtigung ausmacht: die subjektive Verfügung
(durch die Möglichkeit des Verzichtes) über die Verpflichtung
eines andern. „Das Meine wäre nicht mein, könnte ich es nicht
veräußern“, sagt in etwas umständlicheren Worten J. Chr.
Meister,
Lehrbuch des Naturrechts, 1809, zur Begründung der
Verbindlichkeit der Verträge. Eben deshalb kann man sich wohl
vorstellen, wie vorhin bemerkt, daß alles Recht öffentliches,
zwingendes, sei, nicht aber umgekehrt, daß alles Recht Privatrecht
sei. Bekanntlich wurde lange Zeit auch das, was wir Verfassungs-
recht nennen, in subjektive Rechte mehrerer Personen, z. B. des
Landesherrn im Verhältnis zu seinen Lehensträgern oder zu seinen
Städten oder Ständen, oder des Landesherrn schlechthin (im Ver-
hältnis zu anderen Landesherren) aufgelöst. Aber dieser Auffassung
haftet (ganz abgesehen vom lehensrechtlichen oder absolutistischen
Inhalte des Verfassungsrechtes des Mittelalters oder des Patri-
monialstaates) das Unbefriedigende an, daß staatliche Funktionen
zum Gegenstand subjektiver Rechte gemacht werden, d. h. eben
von Rechten, über die der Inhaber nach Belieben verfügen, auf
die er auch verzichten kann. Daß aber der Staat selbst, die zur

1 Denn es ist, wie unter Juristen nicht sollte zweifelhaft sein, ein
großer Unterschied zwischen zwischen demjenigen, der ein Recht nicht aus-
übt, und demjeneigen, der darauf verzichtet, demjenigen, der die Pflicht
eines anderen tatsächlich nicht verwertet, und demjenigen, der sie erläßt.
Das eine ist ein tatsächlicher Vorgang, das andere ein rechtlicher.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0089" n="74"/><fw place="top" type="header">I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.</fw><lb/>
zelnen würden vom Staate nicht fordern als von einem ihnen<lb/>
gegenüber verpflichteten Schuldner, sondern als vom Vollzieher<lb/>
der gesetzlichen Befehle. Diese objektiven Gesetzesnormen, auf<lb/>
gegebene Tatsachen bezogen, ergäben allerdings <hi rendition="#g">konkrete</hi> &#x201E;Ver-<lb/>
pflichtungen und &#x201E;Berechtigungen&#x201C;, aber eben nicht <hi rendition="#g">subjektive,</hi><lb/>
d. h. Rechte und Pflichten, deren Bestand oder Nichtbestand von<lb/>
subjektiver Entschließung (des Berechtigten) abhängig wäre.<lb/>
Was der einzelne zu leisten hätte (was der Staat also berechtigt<lb/>
wäre zu fordern), das könnte ihm der Staat nicht erlassen, und was<lb/>
der Staat zu leisten verpflichtet wäre, das könnte ihm der ein-<lb/>
zelne nicht erlassen, wenngleich er vielleicht davon nicht Gebrauch<lb/>
machen müßte<note place="foot" n="1">Denn es ist, wie unter Juristen nicht sollte zweifelhaft sein, ein<lb/>
großer Unterschied zwischen zwischen demjenigen, der ein Recht nicht aus-<lb/>
übt, und demjeneigen, der darauf verzichtet, demjenigen, der die Pflicht<lb/>
eines anderen tatsächlich nicht verwertet, und demjenigen, der sie erläßt.<lb/>
Das eine ist ein tatsächlicher Vorgang, das andere ein rechtlicher.</note>. Es hat also hier keinen Sinn, von subjektiven<lb/>
Rechten des Staates gegenüber den einzelnen oder der einzelnen<lb/>
gegenüber dem Staate zu sprechen, weil dasjenige fehlt, was die<lb/>
subjektive Berechtigung ausmacht: die subjektive Verfügung<lb/>
(durch die Möglichkeit des Verzichtes) über die Verpflichtung<lb/>
eines andern. &#x201E;Das Meine wäre nicht mein, könnte ich es nicht<lb/>
veräußern&#x201C;, sagt in etwas umständlicheren Worten J. <hi rendition="#g">Chr.<lb/>
Meister,</hi> Lehrbuch des Naturrechts, 1809, zur Begründung der<lb/>
Verbindlichkeit der Verträge. Eben deshalb kann man sich wohl<lb/>
vorstellen, wie vorhin bemerkt, daß alles Recht öffentliches,<lb/>
zwingendes, sei, nicht aber umgekehrt, daß alles Recht Privatrecht<lb/>
sei. Bekanntlich wurde lange Zeit auch das, was wir Verfassungs-<lb/>
recht nennen, in subjektive Rechte mehrerer Personen, z. B. des<lb/>
Landesherrn im Verhältnis zu seinen Lehensträgern oder zu seinen<lb/>
Städten oder Ständen, oder des Landesherrn schlechthin (im Ver-<lb/>
hältnis zu anderen Landesherren) aufgelöst. Aber dieser Auffassung<lb/>
haftet (ganz abgesehen vom lehensrechtlichen oder absolutistischen<lb/>
Inhalte des Verfassungsrechtes des Mittelalters oder des Patri-<lb/>
monialstaates) das Unbefriedigende an, daß staatliche Funktionen<lb/>
zum Gegenstand subjektiver Rechte gemacht werden, d. h. eben<lb/>
von Rechten, über die der Inhaber nach Belieben verfügen, auf<lb/>
die er auch verzichten kann. Daß aber der Staat selbst, die zur<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0089] I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht. zelnen würden vom Staate nicht fordern als von einem ihnen gegenüber verpflichteten Schuldner, sondern als vom Vollzieher der gesetzlichen Befehle. Diese objektiven Gesetzesnormen, auf gegebene Tatsachen bezogen, ergäben allerdings konkrete „Ver- pflichtungen und „Berechtigungen“, aber eben nicht subjektive, d. h. Rechte und Pflichten, deren Bestand oder Nichtbestand von subjektiver Entschließung (des Berechtigten) abhängig wäre. Was der einzelne zu leisten hätte (was der Staat also berechtigt wäre zu fordern), das könnte ihm der Staat nicht erlassen, und was der Staat zu leisten verpflichtet wäre, das könnte ihm der ein- zelne nicht erlassen, wenngleich er vielleicht davon nicht Gebrauch machen müßte 1. Es hat also hier keinen Sinn, von subjektiven Rechten des Staates gegenüber den einzelnen oder der einzelnen gegenüber dem Staate zu sprechen, weil dasjenige fehlt, was die subjektive Berechtigung ausmacht: die subjektive Verfügung (durch die Möglichkeit des Verzichtes) über die Verpflichtung eines andern. „Das Meine wäre nicht mein, könnte ich es nicht veräußern“, sagt in etwas umständlicheren Worten J. Chr. Meister, Lehrbuch des Naturrechts, 1809, zur Begründung der Verbindlichkeit der Verträge. Eben deshalb kann man sich wohl vorstellen, wie vorhin bemerkt, daß alles Recht öffentliches, zwingendes, sei, nicht aber umgekehrt, daß alles Recht Privatrecht sei. Bekanntlich wurde lange Zeit auch das, was wir Verfassungs- recht nennen, in subjektive Rechte mehrerer Personen, z. B. des Landesherrn im Verhältnis zu seinen Lehensträgern oder zu seinen Städten oder Ständen, oder des Landesherrn schlechthin (im Ver- hältnis zu anderen Landesherren) aufgelöst. Aber dieser Auffassung haftet (ganz abgesehen vom lehensrechtlichen oder absolutistischen Inhalte des Verfassungsrechtes des Mittelalters oder des Patri- monialstaates) das Unbefriedigende an, daß staatliche Funktionen zum Gegenstand subjektiver Rechte gemacht werden, d. h. eben von Rechten, über die der Inhaber nach Belieben verfügen, auf die er auch verzichten kann. Daß aber der Staat selbst, die zur 1 Denn es ist, wie unter Juristen nicht sollte zweifelhaft sein, ein großer Unterschied zwischen zwischen demjenigen, der ein Recht nicht aus- übt, und demjeneigen, der darauf verzichtet, demjenigen, der die Pflicht eines anderen tatsächlich nicht verwertet, und demjenigen, der sie erläßt. Das eine ist ein tatsächlicher Vorgang, das andere ein rechtlicher.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/89
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/89>, abgerufen am 24.11.2024.