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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
welches dem Gläubiger seine Forderung zuspricht, würde gar nichts
bewirken, wenn es diesen Anspruch nicht außer Zweifel stellte,
denn das Urteil verlangt nicht, daß bezahlt werde, wenn der Gläu-
biger es nicht verlangt; die Steuerverfügung dagegen, die den
Steuerpflichtigen zur Entrichtung einer Abgabe verhält, bewirkt
die Zahlung, auch wenn das Gesetz die nachträgliche Änderung
und die Rückforderung des Bezahlten zulassen sollte.

Es gibt nun allerdings auch Urteile über andere als privat-
rechtliche Verhältnisse, nämlich über öffentlich-rechtliche, in An-
wendung zwingender Rechtssätze, z. B. des Strafrechts, des Fa-
milienrechts, nach einigen Gesetzgebungen auch des Bürgerrechts,
Stimmrechts oder Steuerrechts, und diese Urteile sind auch rechts-
kräftig. Allein die Rechtsprechung erfüllt hier auch eine andere
Funktion als bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen. Ist es
nämlich zwingendes Recht, das angewendet wird, so kann das
Gericht gar nicht in erster Linie berufen sein, sicheres Recht an
Stelle des bestrittenen zu setzen; sondern das unbestreitbare,
von Amtes wegen anzuwendende Recht anzuwenden1. Überall,
wo der Richter von Amtes wegen einschreitet, kann es nicht seine
erste Sorge sein, die Rechtsunsicherheit oder den Streit unter den
beteiligten Privatpersonen zu beseitigen (weshalb die Einigung

rechtlichen Entscheidungen unzweifelhaft der Rechtskraft fähig seien.
Vgl. meinen Aufsatz über die Befristung des staatsrechtlichen Rekurses
in der Zeitschrift des Bern. Jur.-Ver. 1926, S. 49 ff.
1 Es ist hier nicht Streit im gleichen, eigentlichen Sinn, wie im Privat-
recht, sondern nur in einem uneigentlichen Sinn. Im eigentlichen Sinn ist
eine Pflicht bestritten, wenn nicht ausgemacht ist, was Anspruch auf Zwangs-
verwirklichung hat. Das ist der Fall, wenn zwei Privatpersonen über ihre
gegenseitigen Rechte und Pflichten uneins sind, solange der Richter nicht
gesprochen hat: aber es ist nicht der Fall, wenn eine Privatperson die An-
wendung des Gesetzes, die die Behörde von Amts wegen getroffen hat,
"bestreitet": entweder kann der Private diese Anordnung anfechten; dann
ist sie noch nicht endgültig getroffen und das Gesetz ist noch nicht end-
gültig angewendet (vgl. unten S. 261) oder die Behörde hat endgültig ent-
schieden, dann gibt es keine rechtlich erhebliche Bestreitung mehr; oder
endlich die Behörde hat sich noch gar nicht ausgesprochen; dann gibt es
auch noch nichts zu bestreiten. Gegenüber der Anwendung des Gesetzes
durch die (zuständige und endgültig zuständige) Behörde aber gibt es keine
erhebliche Bestreitung, wie der von einem Privaten erhobene Anspruch be-
stritten werden kann.

Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht.
welches dem Gläubiger seine Forderung zuspricht, würde gar nichts
bewirken, wenn es diesen Anspruch nicht außer Zweifel stellte,
denn das Urteil verlangt nicht, daß bezahlt werde, wenn der Gläu-
biger es nicht verlangt; die Steuerverfügung dagegen, die den
Steuerpflichtigen zur Entrichtung einer Abgabe verhält, bewirkt
die Zahlung, auch wenn das Gesetz die nachträgliche Änderung
und die Rückforderung des Bezahlten zulassen sollte.

Es gibt nun allerdings auch Urteile über andere als privat-
rechtliche Verhältnisse, nämlich über öffentlich-rechtliche, in An-
wendung zwingender Rechtssätze, z. B. des Strafrechts, des Fa-
milienrechts, nach einigen Gesetzgebungen auch des Bürgerrechts,
Stimmrechts oder Steuerrechts, und diese Urteile sind auch rechts-
kräftig. Allein die Rechtsprechung erfüllt hier auch eine andere
Funktion als bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen. Ist es
nämlich zwingendes Recht, das angewendet wird, so kann das
Gericht gar nicht in erster Linie berufen sein, sicheres Recht an
Stelle des bestrittenen zu setzen; sondern das unbestreitbare,
von Amtes wegen anzuwendende Recht anzuwenden1. Überall,
wo der Richter von Amtes wegen einschreitet, kann es nicht seine
erste Sorge sein, die Rechtsunsicherheit oder den Streit unter den
beteiligten Privatpersonen zu beseitigen (weshalb die Einigung

rechtlichen Entscheidungen unzweifelhaft der Rechtskraft fähig seien.
Vgl. meinen Aufsatz über die Befristung des staatsrechtlichen Rekurses
in der Zeitschrift des Bern. Jur.-Ver. 1926, S. 49 ff.
1 Es ist hier nicht Streit im gleichen, eigentlichen Sinn, wie im Privat-
recht, sondern nur in einem uneigentlichen Sinn. Im eigentlichen Sinn ist
eine Pflicht bestritten, wenn nicht ausgemacht ist, was Anspruch auf Zwangs-
verwirklichung hat. Das ist der Fall, wenn zwei Privatpersonen über ihre
gegenseitigen Rechte und Pflichten uneins sind, solange der Richter nicht
gesprochen hat: aber es ist nicht der Fall, wenn eine Privatperson die An-
wendung des Gesetzes, die die Behörde von Amts wegen getroffen hat,
„bestreitet“: entweder kann der Private diese Anordnung anfechten; dann
ist sie noch nicht endgültig getroffen und das Gesetz ist noch nicht end-
gültig angewendet (vgl. unten S. 261) oder die Behörde hat endgültig ent-
schieden, dann gibt es keine rechtlich erhebliche Bestreitung mehr; oder
endlich die Behörde hat sich noch gar nicht ausgesprochen; dann gibt es
auch noch nichts zu bestreiten. Gegenüber der Anwendung des Gesetzes
durch die (zuständige und endgültig zuständige) Behörde aber gibt es keine
erhebliche Bestreitung, wie der von einem Privaten erhobene Anspruch be-
stritten werden kann.
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[67/0082] Die Rechtskraft im privaten und im öffentlichen Recht. welches dem Gläubiger seine Forderung zuspricht, würde gar nichts bewirken, wenn es diesen Anspruch nicht außer Zweifel stellte, denn das Urteil verlangt nicht, daß bezahlt werde, wenn der Gläu- biger es nicht verlangt; die Steuerverfügung dagegen, die den Steuerpflichtigen zur Entrichtung einer Abgabe verhält, bewirkt die Zahlung, auch wenn das Gesetz die nachträgliche Änderung und die Rückforderung des Bezahlten zulassen sollte. Es gibt nun allerdings auch Urteile über andere als privat- rechtliche Verhältnisse, nämlich über öffentlich-rechtliche, in An- wendung zwingender Rechtssätze, z. B. des Strafrechts, des Fa- milienrechts, nach einigen Gesetzgebungen auch des Bürgerrechts, Stimmrechts oder Steuerrechts, und diese Urteile sind auch rechts- kräftig. Allein die Rechtsprechung erfüllt hier auch eine andere Funktion als bei der Anwendung zivilrechtlicher Normen. Ist es nämlich zwingendes Recht, das angewendet wird, so kann das Gericht gar nicht in erster Linie berufen sein, sicheres Recht an Stelle des bestrittenen zu setzen; sondern das unbestreitbare, von Amtes wegen anzuwendende Recht anzuwenden 1. Überall, wo der Richter von Amtes wegen einschreitet, kann es nicht seine erste Sorge sein, die Rechtsunsicherheit oder den Streit unter den beteiligten Privatpersonen zu beseitigen (weshalb die Einigung 3 1 Es ist hier nicht Streit im gleichen, eigentlichen Sinn, wie im Privat- recht, sondern nur in einem uneigentlichen Sinn. Im eigentlichen Sinn ist eine Pflicht bestritten, wenn nicht ausgemacht ist, was Anspruch auf Zwangs- verwirklichung hat. Das ist der Fall, wenn zwei Privatpersonen über ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten uneins sind, solange der Richter nicht gesprochen hat: aber es ist nicht der Fall, wenn eine Privatperson die An- wendung des Gesetzes, die die Behörde von Amts wegen getroffen hat, „bestreitet“: entweder kann der Private diese Anordnung anfechten; dann ist sie noch nicht endgültig getroffen und das Gesetz ist noch nicht end- gültig angewendet (vgl. unten S. 261) oder die Behörde hat endgültig ent- schieden, dann gibt es keine rechtlich erhebliche Bestreitung mehr; oder endlich die Behörde hat sich noch gar nicht ausgesprochen; dann gibt es auch noch nichts zu bestreiten. Gegenüber der Anwendung des Gesetzes durch die (zuständige und endgültig zuständige) Behörde aber gibt es keine erhebliche Bestreitung, wie der von einem Privaten erhobene Anspruch be- stritten werden kann. 3 rechtlichen Entscheidungen unzweifelhaft der Rechtskraft fähig seien. Vgl. meinen Aufsatz über die Befristung des staatsrechtlichen Rekurses in der Zeitschrift des Bern. Jur.-Ver. 1926, S. 49 ff.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/82>, abgerufen am 25.11.2024.