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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Rechtsgeschäfte des privaten und des öffentlichen Rechts.
die schon bestehende Rechtspflicht) Frachtverträge schließen
läßt1.

Die vom Staate zur Ausübung seiner Tätigkeit gewählte privat-
rechtliche Form wirkt sich praktisch nur mehr darin aus, daß
über die Erfüllung des Vertrags die Zivilgerichte entscheiden.
Im übrigen ist die Rechtsstellung des Staates keine andere als
wenn das Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich geregelt wäre; mit
andern Worten, der "Vertrag" erweckt nur den Schein eines
privatrechtlichen Verhältnisses; in Wirklichkeit ist es weder ein
privatrechtliches Verhältnis noch ein Vertrag2.

Gesetzlich betrachtet, deutet die Zuständigkeit der ordent-
lichen Gerichte gewiß auf die (ursprünglich) privatrechtliche
Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Frachtführer und Auf-
geber hin. Aber dogmatisch betrachtet ist Privatrecht doch nicht
identisch mit zivilgerichtlicher Zuständigkeit; ein Rechtsverhält-
nis gehört nicht dem Privatrechte an, weil es unter die Gerichts-
barkeit der Zivilgerichte fällt, sondern eher umgekehrt; es gehört

1 Wenn ein Privatunternehmer, z. B. eine Privatbahn, öffentlich-
rechtlich verpflichtet ist, anderen Privatpersonen seine Dienste zu gewissen
Bedingungen zu leihen, so ist das möglicherweise auch eine gesetzliche
Pflicht, auf die jedermann sich berufen kann, möglicherweise aber nur eine
Pflicht gegenüber dem Staat, die die Behörde nach ihrem Ermessen soll
geltend machen, deren Verletzung also den abgewiesenen Privaten nicht
etwa zu Schadenersatz oder den Fehlbaren zu Strafe verpflichtet, sondern
die Verletzung einer besonderen Ordnung darstellt und gemäß Verleihung
oder gemäß der besonderen Berufsordnung (z. B. der Ärzte) geahndet werden
mag. Wenn ein solcher Unternehmer sich dem Privaten zur Verfügung
stellt, schließt er mit ihm einen eigentlichen Vertrag ab; denn dadurch
erst erhält der Dritte einen Anspruch gegen ihn.
2 Zuzugeben ist allerdings, daß es staatliche Tätigkeiten gibt, in denen
das positive Recht dem Staat im Verhältnis zum Publikum formellrechtlich
die gleiche Freiheit der Entschließung wahren wollte, wie sie ein Privat-
unternehmen hätte, z. B. bei öffentlichen Kreditanstalten; das mag aus
Gründen der Konkurrenz mit Privatanstalten oder aus andern Gründen
zweckmäßig oder notwendig sein. Aber es bleibt nichtsdestoweniger ein
Widerspruch mit dem Wesen des Rechts, daß dem Staat eine gesellschaft-
liche Aufgabe übertragen wird mit der Erlaubnis, sie willkürlich auszuüben;
und es ist eine Erlaubnis, von der so wenig als möglich Gebrauch gemacht
werden soll. Der Vertrag kann, wie Giacometti, Über die Grenzziehung
zwischen Zivilrechts- und Verwaltungsrechtsinstituten (1924) 17, richtig
sagt, auf dem Boden des öffentlichen Rechts überhaupt nicht gedeihen.

Rechtsgeschäfte des privaten und des öffentlichen Rechts.
die schon bestehende Rechtspflicht) Frachtverträge schließen
läßt1.

Die vom Staate zur Ausübung seiner Tätigkeit gewählte privat-
rechtliche Form wirkt sich praktisch nur mehr darin aus, daß
über die Erfüllung des Vertrags die Zivilgerichte entscheiden.
Im übrigen ist die Rechtsstellung des Staates keine andere als
wenn das Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich geregelt wäre; mit
andern Worten, der „Vertrag“ erweckt nur den Schein eines
privatrechtlichen Verhältnisses; in Wirklichkeit ist es weder ein
privatrechtliches Verhältnis noch ein Vertrag2.

Gesetzlich betrachtet, deutet die Zuständigkeit der ordent-
lichen Gerichte gewiß auf die (ursprünglich) privatrechtliche
Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Frachtführer und Auf-
geber hin. Aber dogmatisch betrachtet ist Privatrecht doch nicht
identisch mit zivilgerichtlicher Zuständigkeit; ein Rechtsverhält-
nis gehört nicht dem Privatrechte an, weil es unter die Gerichts-
barkeit der Zivilgerichte fällt, sondern eher umgekehrt; es gehört

1 Wenn ein Privatunternehmer, z. B. eine Privatbahn, öffentlich-
rechtlich verpflichtet ist, anderen Privatpersonen seine Dienste zu gewissen
Bedingungen zu leihen, so ist das möglicherweise auch eine gesetzliche
Pflicht, auf die jedermann sich berufen kann, möglicherweise aber nur eine
Pflicht gegenüber dem Staat, die die Behörde nach ihrem Ermessen soll
geltend machen, deren Verletzung also den abgewiesenen Privaten nicht
etwa zu Schadenersatz oder den Fehlbaren zu Strafe verpflichtet, sondern
die Verletzung einer besonderen Ordnung darstellt und gemäß Verleihung
oder gemäß der besonderen Berufsordnung (z. B. der Ärzte) geahndet werden
mag. Wenn ein solcher Unternehmer sich dem Privaten zur Verfügung
stellt, schließt er mit ihm einen eigentlichen Vertrag ab; denn dadurch
erst erhält der Dritte einen Anspruch gegen ihn.
2 Zuzugeben ist allerdings, daß es staatliche Tätigkeiten gibt, in denen
das positive Recht dem Staat im Verhältnis zum Publikum formellrechtlich
die gleiche Freiheit der Entschließung wahren wollte, wie sie ein Privat-
unternehmen hätte, z. B. bei öffentlichen Kreditanstalten; das mag aus
Gründen der Konkurrenz mit Privatanstalten oder aus andern Gründen
zweckmäßig oder notwendig sein. Aber es bleibt nichtsdestoweniger ein
Widerspruch mit dem Wesen des Rechts, daß dem Staat eine gesellschaft-
liche Aufgabe übertragen wird mit der Erlaubnis, sie willkürlich auszuüben;
und es ist eine Erlaubnis, von der so wenig als möglich Gebrauch gemacht
werden soll. Der Vertrag kann, wie Giacometti, Über die Grenzziehung
zwischen Zivilrechts- und Verwaltungsrechtsinstituten (1924) 17, richtig
sagt, auf dem Boden des öffentlichen Rechts überhaupt nicht gedeihen.
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[59/0074] Rechtsgeschäfte des privaten und des öffentlichen Rechts. die schon bestehende Rechtspflicht) Frachtverträge schließen läßt 1. Die vom Staate zur Ausübung seiner Tätigkeit gewählte privat- rechtliche Form wirkt sich praktisch nur mehr darin aus, daß über die Erfüllung des Vertrags die Zivilgerichte entscheiden. Im übrigen ist die Rechtsstellung des Staates keine andere als wenn das Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlich geregelt wäre; mit andern Worten, der „Vertrag“ erweckt nur den Schein eines privatrechtlichen Verhältnisses; in Wirklichkeit ist es weder ein privatrechtliches Verhältnis noch ein Vertrag 2. Gesetzlich betrachtet, deutet die Zuständigkeit der ordent- lichen Gerichte gewiß auf die (ursprünglich) privatrechtliche Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Frachtführer und Auf- geber hin. Aber dogmatisch betrachtet ist Privatrecht doch nicht identisch mit zivilgerichtlicher Zuständigkeit; ein Rechtsverhält- nis gehört nicht dem Privatrechte an, weil es unter die Gerichts- barkeit der Zivilgerichte fällt, sondern eher umgekehrt; es gehört 1 Wenn ein Privatunternehmer, z. B. eine Privatbahn, öffentlich- rechtlich verpflichtet ist, anderen Privatpersonen seine Dienste zu gewissen Bedingungen zu leihen, so ist das möglicherweise auch eine gesetzliche Pflicht, auf die jedermann sich berufen kann, möglicherweise aber nur eine Pflicht gegenüber dem Staat, die die Behörde nach ihrem Ermessen soll geltend machen, deren Verletzung also den abgewiesenen Privaten nicht etwa zu Schadenersatz oder den Fehlbaren zu Strafe verpflichtet, sondern die Verletzung einer besonderen Ordnung darstellt und gemäß Verleihung oder gemäß der besonderen Berufsordnung (z. B. der Ärzte) geahndet werden mag. Wenn ein solcher Unternehmer sich dem Privaten zur Verfügung stellt, schließt er mit ihm einen eigentlichen Vertrag ab; denn dadurch erst erhält der Dritte einen Anspruch gegen ihn. 2 Zuzugeben ist allerdings, daß es staatliche Tätigkeiten gibt, in denen das positive Recht dem Staat im Verhältnis zum Publikum formellrechtlich die gleiche Freiheit der Entschließung wahren wollte, wie sie ein Privat- unternehmen hätte, z. B. bei öffentlichen Kreditanstalten; das mag aus Gründen der Konkurrenz mit Privatanstalten oder aus andern Gründen zweckmäßig oder notwendig sein. Aber es bleibt nichtsdestoweniger ein Widerspruch mit dem Wesen des Rechts, daß dem Staat eine gesellschaft- liche Aufgabe übertragen wird mit der Erlaubnis, sie willkürlich auszuüben; und es ist eine Erlaubnis, von der so wenig als möglich Gebrauch gemacht werden soll. Der Vertrag kann, wie Giacometti, Über die Grenzziehung zwischen Zivilrechts- und Verwaltungsrechtsinstituten (1924) 17, richtig sagt, auf dem Boden des öffentlichen Rechts überhaupt nicht gedeihen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/74>, abgerufen am 04.05.2024.