I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Die Fälle der zweiten Art dagegen sind hier näher zu be- trachten. Auffallend ist, daß eine öffentlich-rechtliche Funktion in der Form privatrechtlicher Verträge bewerkstelligt wird. Der privatrechtliche Vertrag setzt ja die Freiheit der Zustimmung oder Nichtzustimmung voraus, also die private Willkür, und in der Ausübung staatlicher Tätigkeit soll die Willkür keinen Platz haben1. Was Anstoß erregt, ist nicht sowohl, daß durch die Ver- tragsparteien etwas Willkürliches abgemacht werden könnte, also der Inhalt des Vertragsverhältnisses (der Inhalt des Vertrags kann ja hier wie bei anderen privatrechtlichen Verträgen durch das Gesetz unabänderlich vorgeschrieben werden), stoßend ist vielmehr die Art seines Zustandekommens. Es widerspricht der öffentlich- rechtlichen Natur der staatlichen Funktion, daß sie in privat- rechtlichen Formen betätigt werde; wenn der Staat die Aufgabe hat, Personen und Güter zu befördern, kann es nicht vom sub- jektiven Belieben eines Beamten abhängen, ob eine konkrete Person oder ein Gut befördert werde oder nicht. Dieser Wider- spruch ist aber so groß, daß er im positiven Recht, oder doch in der Praxis, auch gar nicht unausgeglichen bleiben kann. Da der Staat (im Gegensatz zu konzessionierten Privatbahnen, die nur dem Staate gegenüber dem Kontrahierungszwang unterstehen) durch allgemeingültiges, objektives Recht zur Beförderung nach bestimmten Normen verpflichtet ist, und jeder sich soll darauf berufen können, wie wir hier annehmen, kann er nicht zugleich, in Ausführung dieser schon bestehenden Pflicht, eine Vertragspflicht eingehen, deren Gültigkeit abhängig wäre von dem Vorhanden- sein und von der Korrektheit seines "Geschäftswillens". Die Regeln des Privatrechts über den Vertragsschluß kommen denn auch auf seiten des Staates gar nicht zu Anwendung (vgl. oben S. 50). Trotz dem Schein eines Vertrages liegt also hier, gerade im Punkte, wo der Unterschied zur Geltung kommt, kein privat- rechtliches, sondern ein öffentlich-rechtliches Verhältnis vor. Die Wissenschaft kann das dreist behaupten, weil das Gesetz sich widerspricht, wenn es einerseits (wie wir annahmen) den Staat von Gesetzes wegen verpflichtet, Personen und Güter nach der Verkehrsordnung zu befördern und andererseits den Staat (über
1 Wie Fleiner, Institutionen, 3. A. 313, richtig ausführt.
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Die Fälle der zweiten Art dagegen sind hier näher zu be- trachten. Auffallend ist, daß eine öffentlich-rechtliche Funktion in der Form privatrechtlicher Verträge bewerkstelligt wird. Der privatrechtliche Vertrag setzt ja die Freiheit der Zustimmung oder Nichtzustimmung voraus, also die private Willkür, und in der Ausübung staatlicher Tätigkeit soll die Willkür keinen Platz haben1. Was Anstoß erregt, ist nicht sowohl, daß durch die Ver- tragsparteien etwas Willkürliches abgemacht werden könnte, also der Inhalt des Vertragsverhältnisses (der Inhalt des Vertrags kann ja hier wie bei anderen privatrechtlichen Verträgen durch das Gesetz unabänderlich vorgeschrieben werden), stoßend ist vielmehr die Art seines Zustandekommens. Es widerspricht der öffentlich- rechtlichen Natur der staatlichen Funktion, daß sie in privat- rechtlichen Formen betätigt werde; wenn der Staat die Aufgabe hat, Personen und Güter zu befördern, kann es nicht vom sub- jektiven Belieben eines Beamten abhängen, ob eine konkrete Person oder ein Gut befördert werde oder nicht. Dieser Wider- spruch ist aber so groß, daß er im positiven Recht, oder doch in der Praxis, auch gar nicht unausgeglichen bleiben kann. Da der Staat (im Gegensatz zu konzessionierten Privatbahnen, die nur dem Staate gegenüber dem Kontrahierungszwang unterstehen) durch allgemeingültiges, objektives Recht zur Beförderung nach bestimmten Normen verpflichtet ist, und jeder sich soll darauf berufen können, wie wir hier annehmen, kann er nicht zugleich, in Ausführung dieser schon bestehenden Pflicht, eine Vertragspflicht eingehen, deren Gültigkeit abhängig wäre von dem Vorhanden- sein und von der Korrektheit seines „Geschäftswillens“. Die Regeln des Privatrechts über den Vertragsschluß kommen denn auch auf seiten des Staates gar nicht zu Anwendung (vgl. oben S. 50). Trotz dem Schein eines Vertrages liegt also hier, gerade im Punkte, wo der Unterschied zur Geltung kommt, kein privat- rechtliches, sondern ein öffentlich-rechtliches Verhältnis vor. Die Wissenschaft kann das dreist behaupten, weil das Gesetz sich widerspricht, wenn es einerseits (wie wir annahmen) den Staat von Gesetzes wegen verpflichtet, Personen und Güter nach der Verkehrsordnung zu befördern und andererseits den Staat (über
1 Wie Fleiner, Institutionen, 3. A. 313, richtig ausführt.
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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Die Fälle der zweiten Art dagegen sind hier näher zu be-
trachten. Auffallend ist, daß eine öffentlich-rechtliche Funktion
in der Form privatrechtlicher Verträge bewerkstelligt wird. Der
privatrechtliche Vertrag setzt ja die Freiheit der Zustimmung oder
Nichtzustimmung voraus, also die private Willkür, und in der
Ausübung staatlicher Tätigkeit soll die Willkür keinen Platz
haben 1. Was Anstoß erregt, ist nicht sowohl, daß durch die Ver-
tragsparteien etwas Willkürliches abgemacht werden könnte,
also der Inhalt des Vertragsverhältnisses (der Inhalt des Vertrags
kann ja hier wie bei anderen privatrechtlichen Verträgen durch das
Gesetz unabänderlich vorgeschrieben werden), stoßend ist vielmehr
die Art seines Zustandekommens. Es widerspricht der öffentlich-
rechtlichen Natur der staatlichen Funktion, daß sie in privat-
rechtlichen Formen betätigt werde; wenn der Staat die Aufgabe
hat, Personen und Güter zu befördern, kann es nicht vom sub-
jektiven Belieben eines Beamten abhängen, ob eine konkrete
Person oder ein Gut befördert werde oder nicht. Dieser Wider-
spruch ist aber so groß, daß er im positiven Recht, oder doch in
der Praxis, auch gar nicht unausgeglichen bleiben kann. Da der
Staat (im Gegensatz zu konzessionierten Privatbahnen, die nur
dem Staate gegenüber dem Kontrahierungszwang unterstehen)
durch allgemeingültiges, objektives Recht zur Beförderung nach
bestimmten Normen verpflichtet ist, und jeder sich soll darauf
berufen können, wie wir hier annehmen, kann er nicht zugleich, in
Ausführung dieser schon bestehenden Pflicht, eine Vertragspflicht
eingehen, deren Gültigkeit abhängig wäre von dem Vorhanden-
sein und von der Korrektheit seines „Geschäftswillens“. Die
Regeln des Privatrechts über den Vertragsschluß kommen denn
auch auf seiten des Staates gar nicht zu Anwendung (vgl. oben
S. 50). Trotz dem Schein eines Vertrages liegt also hier, gerade
im Punkte, wo der Unterschied zur Geltung kommt, kein privat-
rechtliches, sondern ein öffentlich-rechtliches Verhältnis vor. Die
Wissenschaft kann das dreist behaupten, weil das Gesetz sich
widerspricht, wenn es einerseits (wie wir annahmen) den Staat
von Gesetzes wegen verpflichtet, Personen und Güter nach der
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1 Wie Fleiner, Institutionen, 3. A. 313, richtig ausführt.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/73>, abgerufen am 22.11.2024.
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