Vorschriften hierüber nicht die Gültigkeit des gesetzten Rechtes und somit nicht die Zuständigkeit der Behörde bedingen, also keine wahren Zuständigkeitsvorschriften sind; umgekehrt aber, daß, wenn die Behörde darüber nicht endgültig entscheidet, sie auch nicht endgültig verbindliches Recht setzen kann. Das ist schon mit den Begriffen der Zuständigkeit und der Rechtssetzung gegeben.
Die zweite Möglichkeit ist aber nur für untere Instanzen denk- bar: hier mag eine andere Behörde nachprüfen, ob die unteren Instanzen richtig konstituiert gewesen seien und ob sie richtig ver- fahren haben. Die höchste rechtssetzende Behörde dagegen muß selbst endgültig über diese formellen Voraussetzungen ihrer "Zu- ständigkeit" entscheiden, sofern wenigstens ihr Erlaß unbedingte Geltung soll beanspruchen können. Zwar mag auch hier die Ver- fassung eine andere, z. B. eine gerichtliche, Behörde mit der Über- prüfung betrauen, aber sie muß die Folge in den Kauf nehmen, daß dann über die Verbindlichkeit des Gesetzes mit dem Beschluß der "gesetzgebenden" Behörde noch nicht entschieden ist, sondern erst mit dem Ausspruch der überprüfenden Behörde. Und volle Gewähr für die Einhaltung jener formellen Bedingungen erreicht die Verfassung auch auf diesem Wege nicht, denn ob die über- prüfende Behörde selbst richtig beschaffen sei und richtig verfahre, das wird doch wieder sie selbst entscheiden müssen, gleichwie über ihre sachliche Zuständigkeit, wenn ihr hier von der Verfassung Schranken gesetzt sind (vgl. oben S. 239).
Mit anderen Worten, diese Schranken, die materiellen wie die formellen, sind für die höchste Instanz nicht eigentliche Zuständig- keitsvorschriften, sondern Ordnungsvorschriften, über deren Be- deutung sie, die höchste Instanz, selbst entscheidet1. Das kann man für die sachlichen Beschränkungen der Gesetzgebung, wie sie sich in vielen Verfassungen finden, hinnehmen: ob ein Gesetz einen verfassungsmäßigen Grundsatz, z. B. den der Nichtrückwirkung der Gesetze oder den der Preßfreiheit, verletze, muß schließlich von einer Behörde entschieden werden, wenn nicht von der gesetz- gebenden, so doch von der richterlichen, ohne daß der Private
1 Wie O. Bülow im Archiv für die zivil. Praxis 64 35 für das "ab- solute" Prozeßrecht bemerkt hat: In letzter Instanz setze sich das absolute Prozeßrecht in dispositives um. Recte: die Muß-Vorschrift in eine Soll- Vorschrift.
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
Vorschriften hierüber nicht die Gültigkeit des gesetzten Rechtes und somit nicht die Zuständigkeit der Behörde bedingen, also keine wahren Zuständigkeitsvorschriften sind; umgekehrt aber, daß, wenn die Behörde darüber nicht endgültig entscheidet, sie auch nicht endgültig verbindliches Recht setzen kann. Das ist schon mit den Begriffen der Zuständigkeit und der Rechtssetzung gegeben.
Die zweite Möglichkeit ist aber nur für untere Instanzen denk- bar: hier mag eine andere Behörde nachprüfen, ob die unteren Instanzen richtig konstituiert gewesen seien und ob sie richtig ver- fahren haben. Die höchste rechtssetzende Behörde dagegen muß selbst endgültig über diese formellen Voraussetzungen ihrer „Zu- ständigkeit“ entscheiden, sofern wenigstens ihr Erlaß unbedingte Geltung soll beanspruchen können. Zwar mag auch hier die Ver- fassung eine andere, z. B. eine gerichtliche, Behörde mit der Über- prüfung betrauen, aber sie muß die Folge in den Kauf nehmen, daß dann über die Verbindlichkeit des Gesetzes mit dem Beschluß der „gesetzgebenden“ Behörde noch nicht entschieden ist, sondern erst mit dem Ausspruch der überprüfenden Behörde. Und volle Gewähr für die Einhaltung jener formellen Bedingungen erreicht die Verfassung auch auf diesem Wege nicht, denn ob die über- prüfende Behörde selbst richtig beschaffen sei und richtig verfahre, das wird doch wieder sie selbst entscheiden müssen, gleichwie über ihre sachliche Zuständigkeit, wenn ihr hier von der Verfassung Schranken gesetzt sind (vgl. oben S. 239).
Mit anderen Worten, diese Schranken, die materiellen wie die formellen, sind für die höchste Instanz nicht eigentliche Zuständig- keitsvorschriften, sondern Ordnungsvorschriften, über deren Be- deutung sie, die höchste Instanz, selbst entscheidet1. Das kann man für die sachlichen Beschränkungen der Gesetzgebung, wie sie sich in vielen Verfassungen finden, hinnehmen: ob ein Gesetz einen verfassungsmäßigen Grundsatz, z. B. den der Nichtrückwirkung der Gesetze oder den der Preßfreiheit, verletze, muß schließlich von einer Behörde entschieden werden, wenn nicht von der gesetz- gebenden, so doch von der richterlichen, ohne daß der Private
1 Wie O. Bülow im Archiv für die zivil. Praxis 64 35 für das „ab- solute“ Prozeßrecht bemerkt hat: In letzter Instanz setze sich das absolute Prozeßrecht in dispositives um. Recte: die Muß-Vorschrift in eine Soll- Vorschrift.
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[270/0285]
II. Teil. Die staatliche Verfassung.
Vorschriften hierüber nicht die Gültigkeit des gesetzten Rechtes
und somit nicht die Zuständigkeit der Behörde bedingen, also keine
wahren Zuständigkeitsvorschriften sind; umgekehrt aber, daß,
wenn die Behörde darüber nicht endgültig entscheidet, sie auch
nicht endgültig verbindliches Recht setzen kann. Das ist schon mit
den Begriffen der Zuständigkeit und der Rechtssetzung gegeben.
Die zweite Möglichkeit ist aber nur für untere Instanzen denk-
bar: hier mag eine andere Behörde nachprüfen, ob die unteren
Instanzen richtig konstituiert gewesen seien und ob sie richtig ver-
fahren haben. Die höchste rechtssetzende Behörde dagegen muß
selbst endgültig über diese formellen Voraussetzungen ihrer „Zu-
ständigkeit“ entscheiden, sofern wenigstens ihr Erlaß unbedingte
Geltung soll beanspruchen können. Zwar mag auch hier die Ver-
fassung eine andere, z. B. eine gerichtliche, Behörde mit der Über-
prüfung betrauen, aber sie muß die Folge in den Kauf nehmen,
daß dann über die Verbindlichkeit des Gesetzes mit dem Beschluß
der „gesetzgebenden“ Behörde noch nicht entschieden ist, sondern
erst mit dem Ausspruch der überprüfenden Behörde. Und volle
Gewähr für die Einhaltung jener formellen Bedingungen erreicht
die Verfassung auch auf diesem Wege nicht, denn ob die über-
prüfende Behörde selbst richtig beschaffen sei und richtig verfahre,
das wird doch wieder sie selbst entscheiden müssen, gleichwie über
ihre sachliche Zuständigkeit, wenn ihr hier von der Verfassung
Schranken gesetzt sind (vgl. oben S. 239).
Mit anderen Worten, diese Schranken, die materiellen wie die
formellen, sind für die höchste Instanz nicht eigentliche Zuständig-
keitsvorschriften, sondern Ordnungsvorschriften, über deren Be-
deutung sie, die höchste Instanz, selbst entscheidet 1. Das kann
man für die sachlichen Beschränkungen der Gesetzgebung, wie sie
sich in vielen Verfassungen finden, hinnehmen: ob ein Gesetz einen
verfassungsmäßigen Grundsatz, z. B. den der Nichtrückwirkung
der Gesetze oder den der Preßfreiheit, verletze, muß schließlich
von einer Behörde entschieden werden, wenn nicht von der gesetz-
gebenden, so doch von der richterlichen, ohne daß der Private
1 Wie O. Bülow im Archiv für die zivil. Praxis 64 35 für das „ab-
solute“ Prozeßrecht bemerkt hat: In letzter Instanz setze sich das absolute
Prozeßrecht in dispositives um. Recte: die Muß-Vorschrift in eine Soll-
Vorschrift.
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/285>, abgerufen am 16.02.2025.
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