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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
zweifelhaft; sobald jene Macht beseitigt wird, hört auch die alte
Rechtsordnung auf zu gelten1.

Wie eine Verfassung, im Gegensatz zu anderen Verfassungen
oder im Kampfe mit der Anarchie, zu dieser Macht gelangt, ist
eine Tatfrage und hängt von historischen Zufälligkeiten ab; aber
sie ist ohne Bedeutung für die hier erörterte Frage, was begriff-
lich dazu gehöre, daß eine Rechtsordnung gelte. Geltung zu
erlangen verdient das bessere Recht; aber es erhält sie stets nur
dadurch, daß die organisierte Gewalt sich in seinen Dienst stellt2.

Deshalb hat auch jede Verfassung (und Rechtsordnung) im
räumlichen Sinn ihr Geltungsgebiet. Das Gebiet des Staates
ist der Bereich seiner Zwangsgewalt (vgl. unten S. 368). So-
weit eine Rechtsvorschrift erzwungen werden kann, so weit gilt
sie: da, wo die Kraft des Armes versagt, hört die Geltung auf.
Die schweizerischen Gesetze gelten in der Schweiz, weil hier die
Zwangsorganisation der schweizerischen Behörden hinter ihnen
steht; die kantonalen Gesetze gelten je in ihrem Kanton. Aller-
dings kann ein Staat seine Gesetze auch für seine Angehörigen
im Auslande verbindlich erklären; aber wieweit sie dort gelten,
hängt doch davon ab, ob und wieweit die vorgeschriebene Pflicht
vom Inland aus (mittelbar) erzwungen werden kann, und ohne
jegliches solches (inländisches) Zwangsgebiet läßt sich die Geltung
eines Gesetzes nicht denken. Der Codex juris canonici als solcher
ist nicht geltendes Recht, weil ihm diese Operationsbasis der
Zwangsgewalt fehlt. Umgekehrt kann ein und dieselbe (inhaltlich
identische) Norm mehrere Zwangsorganisationen hinter sich haben

1 Vgl. L. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechts-
philosophie (1925) 136; Sander im Archiv für öffentliches Recht 10 (1926)
203, 215 ff.; Brie, Die Legitimation einer usurpierten Staatsgewalt (1866)
66--67; Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 67 f.; Held, Über Legi-
timität; Legitimitätsprinzip (1859).
2 Weil der staatlichen Organisation die überragende Macht zusteht,
erscheint auch der Staat stets als die lebendige Willensäußerung des Volkes;
nur durch den Staat können sich Wille und Geist der Nation durchsetzen;
in ihm sucht die Nation ihren Ausdruck. Es ist deshalb nicht unrichtig,
die Staaten als lebendige Organismen darzustellen, belebt durch den Willen
der Volksgemeinschaft. Aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß, um
Staaten zu sein, sie rechtliche Organisationen zur Verwirklichung des
Rechtes sein müssen.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
zweifelhaft; sobald jene Macht beseitigt wird, hört auch die alte
Rechtsordnung auf zu gelten1.

Wie eine Verfassung, im Gegensatz zu anderen Verfassungen
oder im Kampfe mit der Anarchie, zu dieser Macht gelangt, ist
eine Tatfrage und hängt von historischen Zufälligkeiten ab; aber
sie ist ohne Bedeutung für die hier erörterte Frage, was begriff-
lich dazu gehöre, daß eine Rechtsordnung gelte. Geltung zu
erlangen verdient das bessere Recht; aber es erhält sie stets nur
dadurch, daß die organisierte Gewalt sich in seinen Dienst stellt2.

Deshalb hat auch jede Verfassung (und Rechtsordnung) im
räumlichen Sinn ihr Geltungsgebiet. Das Gebiet des Staates
ist der Bereich seiner Zwangsgewalt (vgl. unten S. 368). So-
weit eine Rechtsvorschrift erzwungen werden kann, so weit gilt
sie: da, wo die Kraft des Armes versagt, hört die Geltung auf.
Die schweizerischen Gesetze gelten in der Schweiz, weil hier die
Zwangsorganisation der schweizerischen Behörden hinter ihnen
steht; die kantonalen Gesetze gelten je in ihrem Kanton. Aller-
dings kann ein Staat seine Gesetze auch für seine Angehörigen
im Auslande verbindlich erklären; aber wieweit sie dort gelten,
hängt doch davon ab, ob und wieweit die vorgeschriebene Pflicht
vom Inland aus (mittelbar) erzwungen werden kann, und ohne
jegliches solches (inländisches) Zwangsgebiet läßt sich die Geltung
eines Gesetzes nicht denken. Der Codex juris canonici als solcher
ist nicht geltendes Recht, weil ihm diese Operationsbasis der
Zwangsgewalt fehlt. Umgekehrt kann ein und dieselbe (inhaltlich
identische) Norm mehrere Zwangsorganisationen hinter sich haben

1 Vgl. L. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechts-
philosophie (1925) 136; Sander im Archiv für öffentliches Recht 10 (1926)
203, 215 ff.; Brie, Die Legitimation einer usurpierten Staatsgewalt (1866)
66—67; Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 67 f.; Held, Über Legi-
timität; Legitimitätsprinzip (1859).
2 Weil der staatlichen Organisation die überragende Macht zusteht,
erscheint auch der Staat stets als die lebendige Willensäußerung des Volkes;
nur durch den Staat können sich Wille und Geist der Nation durchsetzen;
in ihm sucht die Nation ihren Ausdruck. Es ist deshalb nicht unrichtig,
die Staaten als lebendige Organismen darzustellen, belebt durch den Willen
der Volksgemeinschaft. Aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß, um
Staaten zu sein, sie rechtliche Organisationen zur Verwirklichung des
Rechtes sein müssen.
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[176/0191] II. Teil. Die staatliche Verfassung. zweifelhaft; sobald jene Macht beseitigt wird, hört auch die alte Rechtsordnung auf zu gelten 1. Wie eine Verfassung, im Gegensatz zu anderen Verfassungen oder im Kampfe mit der Anarchie, zu dieser Macht gelangt, ist eine Tatfrage und hängt von historischen Zufälligkeiten ab; aber sie ist ohne Bedeutung für die hier erörterte Frage, was begriff- lich dazu gehöre, daß eine Rechtsordnung gelte. Geltung zu erlangen verdient das bessere Recht; aber es erhält sie stets nur dadurch, daß die organisierte Gewalt sich in seinen Dienst stellt 2. Deshalb hat auch jede Verfassung (und Rechtsordnung) im räumlichen Sinn ihr Geltungsgebiet. Das Gebiet des Staates ist der Bereich seiner Zwangsgewalt (vgl. unten S. 368). So- weit eine Rechtsvorschrift erzwungen werden kann, so weit gilt sie: da, wo die Kraft des Armes versagt, hört die Geltung auf. Die schweizerischen Gesetze gelten in der Schweiz, weil hier die Zwangsorganisation der schweizerischen Behörden hinter ihnen steht; die kantonalen Gesetze gelten je in ihrem Kanton. Aller- dings kann ein Staat seine Gesetze auch für seine Angehörigen im Auslande verbindlich erklären; aber wieweit sie dort gelten, hängt doch davon ab, ob und wieweit die vorgeschriebene Pflicht vom Inland aus (mittelbar) erzwungen werden kann, und ohne jegliches solches (inländisches) Zwangsgebiet läßt sich die Geltung eines Gesetzes nicht denken. Der Codex juris canonici als solcher ist nicht geltendes Recht, weil ihm diese Operationsbasis der Zwangsgewalt fehlt. Umgekehrt kann ein und dieselbe (inhaltlich identische) Norm mehrere Zwangsorganisationen hinter sich haben 1 Vgl. L. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechts- philosophie (1925) 136; Sander im Archiv für öffentliches Recht 10 (1926) 203, 215 ff.; Brie, Die Legitimation einer usurpierten Staatsgewalt (1866) 66—67; Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit (1891) 67 f.; Held, Über Legi- timität; Legitimitätsprinzip (1859). 2 Weil der staatlichen Organisation die überragende Macht zusteht, erscheint auch der Staat stets als die lebendige Willensäußerung des Volkes; nur durch den Staat können sich Wille und Geist der Nation durchsetzen; in ihm sucht die Nation ihren Ausdruck. Es ist deshalb nicht unrichtig, die Staaten als lebendige Organismen darzustellen, belebt durch den Willen der Volksgemeinschaft. Aber es bleibt nichtsdestoweniger wahr, daß, um Staaten zu sein, sie rechtliche Organisationen zur Verwirklichung des Rechtes sein müssen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/191>, abgerufen am 25.11.2024.