gung" des Rechtes überhaupt; wir fragen nicht, warum es unter Menschen eine Rechtsordnung geben muß. Diese Frage ist von neueren Rechtsphilosophen, namentlich von Stammler, genügend abgeklärt worden. Dem Einsichtigen muß es klar geworden sein, daß jede menschliche Gruppe, wenn sie Anspruch darauf machen will, sich vernunftgemäß zu verhalten, einer normativen Ordnung der Einzelnen untereinander bedarf, welche unabhängig ist von der Zustimmung und inneren Billigung jedes Einzelnen (da sie sonst nicht einheitlich sein könnte) und deshalb auch nicht die Befolgung aus innerer Zustimmung verlangt, sondern nur die "äußere" Konformität, die Legalität des Verhaltens; was eben die Eigenart der rechtlichen Normierung ausmacht. Wir nehmen deshalb als erwiesen an, daß es in jeder menschlichen Gruppe (oder in der gesamten Menschheit als einziger Gruppe) eine rechtliche Ordnung, irgend ein Recht geben muß.
Der Abklärung bedarf aber noch die Frage, welches Recht, welche Rechtsordnung in der betreffenden Gruppe als die ver- bindliche anzusehen sei, unter Ausschluß jeder anderen recht- lichen Ordnung, welches also der Inhalt des als verbindlich anzusehenden Rechtes sein soll.
Die beiden Fragen werden oft miteinander vermengt und in einem abgetan: man glaubt alles bewiesen zu haben, wenn man beweist, daß die Rechtsordnung als solche ein Postulat der Ver- nunft ist. Das ist sie zweifellos, und zwar kann das allgemein- gültig, für alle Länder und alle Zeiten, als richtig eingesehen werden; aber eine andere Frage ist, welches diese Rechtsordnung im ge- gebenen Falle sein soll, was rechtsverbindlich sein soll. Das kann nicht allgemeingültig ausgemacht werden, wie es das Naturrecht annahm, weil jede Rechtsvorschrift nur in Anwendung auf be- stimmte tatsächliche Voraussetzungen als richtig oder unrichtig beurteilt werden kann. Allgemeingültig ist nur der Maßstab, an dem gemessen wird, was für eine bestimmte Gesellschaft jeweilen gerecht ist; eben der Maßstab der Gerechtigkeit, den wir immer voraussetzen. Was rechtens sein soll, muß in jedem Fall neu entschieden werden. Und auf dieser Auswahl des Inhaltes der Rechtsordnung, auf dieser Auswahl unter mehreren denkbaren (inhaltlich verschiedenen) Rechtsordnungen bezieht sich das Pro- blem der Geltung.
Die Geltung des Rechts.
gung“ des Rechtes überhaupt; wir fragen nicht, warum es unter Menschen eine Rechtsordnung geben muß. Diese Frage ist von neueren Rechtsphilosophen, namentlich von Stammler, genügend abgeklärt worden. Dem Einsichtigen muß es klar geworden sein, daß jede menschliche Gruppe, wenn sie Anspruch darauf machen will, sich vernunftgemäß zu verhalten, einer normativen Ordnung der Einzelnen untereinander bedarf, welche unabhängig ist von der Zustimmung und inneren Billigung jedes Einzelnen (da sie sonst nicht einheitlich sein könnte) und deshalb auch nicht die Befolgung aus innerer Zustimmung verlangt, sondern nur die „äußere“ Konformität, die Legalität des Verhaltens; was eben die Eigenart der rechtlichen Normierung ausmacht. Wir nehmen deshalb als erwiesen an, daß es in jeder menschlichen Gruppe (oder in der gesamten Menschheit als einziger Gruppe) eine rechtliche Ordnung, irgend ein Recht geben muß.
Der Abklärung bedarf aber noch die Frage, welches Recht, welche Rechtsordnung in der betreffenden Gruppe als die ver- bindliche anzusehen sei, unter Ausschluß jeder anderen recht- lichen Ordnung, welches also der Inhalt des als verbindlich anzusehenden Rechtes sein soll.
Die beiden Fragen werden oft miteinander vermengt und in einem abgetan: man glaubt alles bewiesen zu haben, wenn man beweist, daß die Rechtsordnung als solche ein Postulat der Ver- nunft ist. Das ist sie zweifellos, und zwar kann das allgemein- gültig, für alle Länder und alle Zeiten, als richtig eingesehen werden; aber eine andere Frage ist, welches diese Rechtsordnung im ge- gebenen Falle sein soll, was rechtsverbindlich sein soll. Das kann nicht allgemeingültig ausgemacht werden, wie es das Naturrecht annahm, weil jede Rechtsvorschrift nur in Anwendung auf be- stimmte tatsächliche Voraussetzungen als richtig oder unrichtig beurteilt werden kann. Allgemeingültig ist nur der Maßstab, an dem gemessen wird, was für eine bestimmte Gesellschaft jeweilen gerecht ist; eben der Maßstab der Gerechtigkeit, den wir immer voraussetzen. Was rechtens sein soll, muß in jedem Fall neu entschieden werden. Und auf dieser Auswahl des Inhaltes der Rechtsordnung, auf dieser Auswahl unter mehreren denkbaren (inhaltlich verschiedenen) Rechtsordnungen bezieht sich das Pro- blem der Geltung.
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Die Geltung des Rechts.
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neueren Rechtsphilosophen, namentlich von Stammler, genügend
abgeklärt worden. Dem Einsichtigen muß es klar geworden sein,
daß jede menschliche Gruppe, wenn sie Anspruch darauf machen
will, sich vernunftgemäß zu verhalten, einer normativen Ordnung
der Einzelnen untereinander bedarf, welche unabhängig ist von
der Zustimmung und inneren Billigung jedes Einzelnen (da sie
sonst nicht einheitlich sein könnte) und deshalb auch nicht die
Befolgung aus innerer Zustimmung verlangt, sondern nur die
„äußere“ Konformität, die Legalität des Verhaltens; was eben
die Eigenart der rechtlichen Normierung ausmacht. Wir
nehmen deshalb als erwiesen an, daß es in jeder menschlichen
Gruppe (oder in der gesamten Menschheit als einziger Gruppe)
eine rechtliche Ordnung, irgend ein Recht geben muß.
Der Abklärung bedarf aber noch die Frage, welches Recht,
welche Rechtsordnung in der betreffenden Gruppe als die ver-
bindliche anzusehen sei, unter Ausschluß jeder anderen recht-
lichen Ordnung, welches also der Inhalt des als verbindlich
anzusehenden Rechtes sein soll.
Die beiden Fragen werden oft miteinander vermengt und in
einem abgetan: man glaubt alles bewiesen zu haben, wenn man
beweist, daß die Rechtsordnung als solche ein Postulat der Ver-
nunft ist. Das ist sie zweifellos, und zwar kann das allgemein-
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aber eine andere Frage ist, welches diese Rechtsordnung im ge-
gebenen Falle sein soll, was rechtsverbindlich sein soll. Das kann
nicht allgemeingültig ausgemacht werden, wie es das Naturrecht
annahm, weil jede Rechtsvorschrift nur in Anwendung auf be-
stimmte tatsächliche Voraussetzungen als richtig oder unrichtig
beurteilt werden kann. Allgemeingültig ist nur der Maßstab,
an dem gemessen wird, was für eine bestimmte Gesellschaft jeweilen
gerecht ist; eben der Maßstab der Gerechtigkeit, den wir immer
voraussetzen. Was rechtens sein soll, muß in jedem Fall neu
entschieden werden. Und auf dieser Auswahl des Inhaltes der
Rechtsordnung, auf dieser Auswahl unter mehreren denkbaren
(inhaltlich verschiedenen) Rechtsordnungen bezieht sich das Pro-
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/180>, abgerufen am 16.07.2024.
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