Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus seiner ganz frühen Zeit (1500--1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts- gebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm dasa I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng- lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico Campagnola, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) -- In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V.b Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt- paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola; IX ist ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) -- Als einzige namhafte Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh. sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man- gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll. Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land- schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. -- Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand dochc nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.
Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti- zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über- gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing,
Tizian. Assunta. Fresken in Padua.
Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus seiner ganz frühen Zeit (1500—1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts- gebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm dasa I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng- lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico Campagnola, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) — In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V.b Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt- paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola; IX ist ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) — Als einzige namhafte Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh. sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man- gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll. Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land- schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. — Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand dochc nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.
Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti- zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über- gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0995"n="973"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tizian. Assunta. Fresken in Padua.</hi></fw><lb/><p>Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus<lb/>
seiner ganz frühen Zeit (1500—1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts-<lb/>
gebäuden) zu Padua. In der <hirendition="#g">Scuola del Santo</hi> ist von ihm das<noteplace="right">a</note><lb/>
I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu<lb/>
Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann<lb/>
tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng-<lb/>
lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der<lb/>
frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner <hirendition="#g">Domenico<lb/>
Campagnola</hi>, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken<lb/>
Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene<lb/>
Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) —<lb/>
In der <hirendition="#g">Scuola del Carmine</hi> ist von Tizian nur das herrliche V.<noteplace="right">b</note><lb/>
Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt-<lb/>
paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem<lb/>
viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von <hirendition="#g">Campagnola</hi>; IX ist<lb/>
ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) — Als einzige namhafte<lb/>
Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh.<lb/>
sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit<lb/>
den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der<lb/>
Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man-<lb/>
gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig<lb/>
freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten<lb/>
Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem<lb/>
Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto<lb/>
seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem<lb/>
Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll.<lb/>
Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land-<lb/>
schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. —<lb/>
Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der<lb/>
spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria<lb/>
im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand doch<noteplace="right">c</note><lb/>
nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich<lb/>
mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.</p><lb/><p>Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti-<lb/>
zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über-<lb/>
gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[973/0995]
Tizian. Assunta. Fresken in Padua.
Für die eigentliche Historienmalerei giebt es Fresken Tizians aus
seiner ganz frühen Zeit (1500—1520?) in zwei Scuole (Bruderschafts-
gebäuden) zu Padua. In der Scuola del Santo ist von ihm das
I., XI. und XII. Bild: S. Antonius lässt ein kleines Kind reden zu
Bezeugung der Unschuld seiner Mutter; ein eifersüchtiger Ehemann
tödtet seine Frau; S. Antonius heilt das zerbrochene Bein eines Jüng-
lings. (Die Mitarbeiter waren: für IV, VIII und X Paduaner der
frühern Schule; für II, III, IX und XVII der Paduaner Domenico
Campagnola, welcher hier ein ausgezeichnetes, mit diesen Werken
Tizians rivalisirendes Talent zeigt; für V, VII, XIII, XIV verschiedene
Schüler Tizians; von Giov. Contarini VI; von Spätern XV, XVI.) —
In der Scuola del Carmine ist von Tizian nur das herrliche V.
Bild: Joachim und Anna. (I, II, III, IV sind von geringern Alt-
paduanern; VII, Joachims Vertreibung aus dem Tempel, von einem
viel bessern; XII, XIII, XIV (auch VI?) von Campagnola; IX ist
ganz unbedeutend, X und XI von Spätern.) — Als einzige namhafte
Frescounternehmungen der Venezianer vom Anfang des XVI. Jahrh.
sind diese Malereien zwar in allem was zur Composition gehört mit
den grossen gleichzeitigen Florentinern nicht zu vergleichen; in der
Scuola del Santo haben auch die Sujets einen schweren innern Man-
gel (vgl. S. 661, g). Aber als belebte Existenzbilder mit grossartig
freien Charakteren, mit malerisch vollkommen schön behandelten
Trachten, mit vorzüglichen landschaftlichen Hintergründen, mit einem
Colorit das in Fresco nur hie und da bei Rafael und A. del Sarto
seines Gleichen hat, sind besonders die Arbeiten Tizians von höchstem
Werthe. Sein Helldunkel in der Carnation ist wahrhaft wonnevoll.
Das Bild von Joachim und Anna, in der weiträumigen schönen Land-
schaft, gehört unbedingt zu seinen einfach-grössten Meisterwerken. —
Man kann nicht sagen, dass er in Gegenständen dieser Art in der
spätern Zeit gewonnen habe. In seiner grossen Darstellung der Maria
im Tempel (Acad. von Venedig), wird der eigentliche Gegenstand doch
nahezu erdrückt durch die Fülle an Nebenmotiven, die denn freilich
mit einer erstaunlichen Frische und Schönheit dargestellt sind.
a
b
c
Im strengen Sinne dramatisch sind zwei berühmte Altarbilder Ti-
zians. Es war ein nothwendiger wenn auch verhängnissvoller Über-
gang in dieser Zeit einer Allem gewachsenen Kunst, dass man anfing,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 973. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/995>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.