In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess aoffenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; -- mit ge- bstreiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum cvon Neapel; -- geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.) -- Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johan- dnes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet; ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels Johannes S. 903.) -- Der S. Hieronymus, von welchem Italien we- enigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Li- nien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes, des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund; allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich ge- nug. -- In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal Bellini's auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im fPal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. -- Die grosse Fresco- gfigur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.'s, aus welchen ein frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint.
Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommen- sten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenz- bilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross. hDas frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend, im Vorraum der Sacristei der Salute, ist ein Wunderwerk an Reife und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. -- Eine ieigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild der vatican. Galerie; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess aoffenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; — mit ge- bstreiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum cvon Neapel; — geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom, u. a. a. O.) — Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johan- dnes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet; ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels Johannes S. 903.) — Der S. Hieronymus, von welchem Italien we- enigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Li- nien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes, des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund; allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich ge- nug. — In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal Bellini’s auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im fPal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. — Die grosse Fresco- gfigur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.’s, aus welchen ein frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint.
Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommen- sten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenz- bilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross. hDas frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend, im Vorraum der Sacristei der Salute, ist ein Wunderwerk an Reife und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. — Eine ieigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild der vatican. Galerie; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem
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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Venedig.
In der bekannten Magdalena z. B. sollte wohl die bussfertige
Sünderin dargestellt werden, allein in dem wundervollen Weib, deren
Haare wie goldene Wellen den schönen Leib umströmen, ist diess
offenbar nur Nebensache. (Hauptexemplar: Pal. Pitti; — mit ge-
streiftem Überwurf bekleidet, übrigens noch von T. selbst, im Museum
von Neapel; — geringere Exemplare und Copien: Pal. Doria in Rom,
u. a. a. O.) — Schon eher ist in dem einsamen Bussprediger Johan-
nes (Acad. v. Venedig) eine strenge Gegenstandswahrheit beobachtet;
ein edler Kopf, vielleicht etwas nervös leidend, mit dem Ausdruck
des Kummers; er winkt mit der Rechten die Leute herbei. (Rafaels
Johannes S. 903.) — Der S. Hieronymus, von welchem Italien we-
nigstens ein gutes Exempalar (Brera zu Mailand) besitzt, ist malerisch
genommen ein hochpoetisches Werk, energische Bildung, schöne Li-
nien, ein prächtiges Ensemble des Nackten, des rothen Gewandes,
des Löwen, mit jenem steilen waldigen Hohlweg als Hintergrund;
allein der Ausdruck der begeisterten Ascese ist nicht innerlich ge-
nug. — In einzelnen Christusköpfen dagegen hat Tizian das Ideal
Bellini’s auf tiefsinnige, überaus geistreiche Weise neu gebildet. Der
schönste findet sich in Dresden (Cristo della moneta); derjenige im
Pal. Pitti ist ebenfalls noch ein edles Specimen. — Die grosse Fresco-
figur des S. Christoph im Dogenpalast (unten an der Treppe neben
der Capella) ist wohl eines derjenigen Werke T.’s, aus welchen ein
frischer, von Coreggio empfangener Eindruck hervorzuleuchten scheint.
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Nach dem Gesagten kann es nicht mehr zweifelhaft sein, welche
unter den grössern Kirchenbildern den reinsten und vollkommen-
sten Eindruck hervorbringen müssen; es sind die ruhigen Existenz-
bilder, meist Madonnen mit Heiligen und Donatoren. Hier wo Ein
Klang, Eine Stimmung das Ganze erfüllen darf, wo die besondere
historische Intention zurücktritt, ist Tizian ganz unvergleichlich gross.
Das frühste dieser Bilder, S. Marcus zwischen 4 Heiligen thronend,
im Vorraum der Sacristei der Salute, ist ein Wunderwerk an Reife
und Adel der Charaktere, in gewaltig leuchtendem Goldton. — Eine
eigentliche Santa conversazione ist dann das grossartige späte Bild
der vatican. Galerie; sechs Heilige, zum Theil von gemässigtem
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 970. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/992>, abgerufen am 18.12.2024.
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