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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Im-
provisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht
bei Sonnenschein 10--12 Uhr.)

Bald darauf, 1520--1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl
zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten
ain einer Thürlunette des linken Querschiffes. -- Dann die Kuppel.
(Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am
leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammt-
composition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf
Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten
am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden
des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise,
ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte
Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jeden-
falls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien
den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man
vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht
den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der
meisten spätern Kuppelgemälde -- die Glorie des Himmels -- nur
das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr,
dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung
ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition
ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun
ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig
verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen
den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch
als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken,
welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Vo-
lumen behandelt. -- Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel
sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten
-- je ein Evangelist und ein Kirchenvater -- auf Wolken, während
noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle
feste Throne gegeben hatte.

Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen
Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Haupt-
gruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio.
Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Im-
provisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht
bei Sonnenschein 10—12 Uhr.)

Bald darauf, 1520—1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl
zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten
ain einer Thürlunette des linken Querschiffes. — Dann die Kuppel.
(Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am
leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammt-
composition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf
Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten
am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden
des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise,
ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte
Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jeden-
falls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien
den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man
vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht
den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der
meisten spätern Kuppelgemälde — die Glorie des Himmels — nur
das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr,
dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung
ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition
ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun
ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig
verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen
den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch
als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken,
welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Vo-
lumen behandelt. — Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel
sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten
— je ein Evangelist und ein Kirchenvater — auf Wolken, während
noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle
feste Throne gegeben hatte.

Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen
Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Haupt-
gruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem

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[956/0978] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Coreggio. Grunde liegen muss; allein es sind Bilder der heitersten Jugend, Im- provisationen voll von Leben und von Schönheit. (Gutes Reflexlicht bei Sonnenschein 10—12 Uhr.) Bald darauf, 1520—1524, malte C. in S. Giovanni, und zwar wohl zuerst die schöne und strenge Gestalt des begeisterten Evangelisten in einer Thürlunette des linken Querschiffes. — Dann die Kuppel. (Im Februar war um 12 Uhr und gegen 4 Uhr die Beleuchtung am leidlichsten. S. 205, oben.) Es ist die erste einer grossen Gesammt- composition gewidmete Kuppel; Christus in der Glorie, von den auf Wolken sitzenden Aposteln umgeben, und zwar Alles als Vision des unten am Rand angebrachten Johannes. Die Apostel sind echte Lombarden des nobeln Typus, von einer grandiosen Körperlichkeit; der greise, ekstatische Johannes (absichtlich?) unedler. Die völlig durchgeführte Untensicht, von welcher dieses Beispiel das frühste erhaltene und jeden- falls das frühste so ganz durchgeführte ist (vgl. S. 952, Anm.), erschien den Zeitgenossen und Nachfolgern als ein Triumph aller Malerei. Man vergass, welche Theile des menschlichen Körpers bei der Untensicht den Vorrang erhalten, während doch der Gegenstand dieses und der meisten spätern Kuppelgemälde — die Glorie des Himmels — nur das geistig Belebteste vertragen würde. Man empfand nicht mehr, dass für diesen Gegenstand die Raumwirklichkeit eine Entwürdigung ist und dass überhaupt nur die ideale, architektonische Composition ein Gefühl erwecken kann, welches demselben irgendwie gemäss ist. Nun ist schon hier gerade die Hauptgestalt, Christus, wahrhaft froschartig verkürzt; auch bei einzelnen Aposteln rücken die Kniee bis gegen den Hals. Als Raumverdeutlichung, Stütze und Sitz, malerisch auch als Mittel der Abstufung und Unterbrechung dienen die Wolken, welche Coreggio als consistent geballte Körper von bestimmtem Vo- lumen behandelt. — Auch an den Pendentifs (Zwickeln) der Kuppel sitzen die an sich sehr schönen, nur übermässig verkürzten Gestalten — je ein Evangelist und ein Kirchenvater — auf Wolken, während noch Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen an ähnlicher Stelle feste Throne gegeben hatte. a Die Halbkuppel des Chores derselben Kirche, mit der grossen Krönung der Maria, wurde 1584 abgebrochen. Doch wurde die Haupt- gruppe (Christus und Maria) gerettet und ist gegenwärtig in einem

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 956. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/978>, abgerufen am 18.12.2024.