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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Zimmer des Vaticans.
schöpflichen Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren
Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken
wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei
im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der An-
blick von selbst lehrt.

Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von
Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde.
Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregel-
mässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura)
und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie ge-
wöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vor-
theile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesent-
lichen Unterschied.

Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten
Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen
in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der
Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die
Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constan-
tins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach
seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen
was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der
stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael
that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue
Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken
der Stanza d'Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt;
den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbe-
schädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand
den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkom-
men gemalt nennen.

Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, aus-
genommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen
neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Decken-
bilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises
Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen ent-
standen. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue,
offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit

Zimmer des Vaticans.
schöpflichen Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren
Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken
wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei
im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der An-
blick von selbst lehrt.

Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von
Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde.
Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregel-
mässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura)
und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie ge-
wöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vor-
theile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesent-
lichen Unterschied.

Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten
Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen
in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der
Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die
Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constan-
tins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach
seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen
was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der
stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael
that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue
Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken
der Stanza d’Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt;
den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbe-
schädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand
den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkom-
men gemalt nennen.

Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, aus-
genommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen
neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Decken-
bilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises
Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen ent-
standen. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue,
offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit

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[911/0933] Zimmer des Vaticans. schöpflichen Reichthum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren Inhalt oder gar ihren Werth kurz in Worten darzulegen, beschränken wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei im Ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der An- blick von selbst lehrt. Die Räume existirten schon und waren bereits theilweise (von Perugino, Soddoma u. A.) ausgemalt, als Rafael dafür berufen wurde. Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregel- mässig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura) und in Betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie ge- wöhnlich Nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vor- theile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesent- lichen Unterschied. Die Technik ist eine ausserordentlich verschiedene. Einer guten Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der Hauptsache nach sämmtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Constan- tins wurden nicht, wie man sagt, von R. eigenhändig, sondern erst nach seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresco, sowohl dessen was der Meister als dessen was die Schüler malten, herrscht der stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Rafael that sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier grossen Fresken der Stanza d’Eliodoro ist jedes in einem andern Colorit durchgeführt; den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbe- schädigten Theilen der Messe von Bolsena, und doch wird Niemand den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkom- men gemalt nennen. Die Erhaltung ist im Verhältniss zum Alter eine mittlere, aus- genommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im Wesentlichen neu malen musste, und einiger durch Risse schwer bedrohten Decken- bilder. Das grösste Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen ent- standen. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue, offizielle Aufnahme und Herausgabe aller Umrisse, wofür es hohe Zeit

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 911. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/933>, abgerufen am 19.05.2024.