sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild, welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuch- ten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte das Schweben 1). Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dage- gen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, wel- cher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich ver- stärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen Schärfung weichen muss 2). -- Wem nun dieser Christus noch immer nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideen- folgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie folgen zu können. -- Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.'s Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum
1)*Noch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 827, h) des Museums von Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt.
2) Eine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der sixtin. Madonna vor, sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äusser- sten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her.
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild, welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuch- ten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte das Schweben 1). Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dage- gen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, wel- cher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich ver- stärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen Schärfung weichen muss 2). — Wem nun dieser Christus noch immer nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideen- folgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie folgen zu können. — Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.’s Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum
1)*Noch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 827, h) des Museums von Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt.
2) Eine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der sixtin. Madonna vor, sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äusser- sten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her.
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[906/0928]
Malerei des XVI. Jahrhunderts. Rafael.
sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild,
welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem
Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuch-
ten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller
Modellirung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Rafael substituirte
das Schweben 1). Ferner wird die Verklärung ausschliesslich als
Machtäusserung in Bezug auf die Anwesenden gedacht; Rafael dage-
gen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, wel-
cher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müsste, sondern
nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und
damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der
Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von
den colossalen Contrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der
Scene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch
die Vergrösserung und weite Distanz der Augen ausserordentlich ver-
stärkt; Rafael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei
welchen ziemlich oft die Normalbildung irgend einer charakteristischen
Schärfung weichen muss 2). — Wem nun dieser Christus noch immer
nicht genügt, der suche erst darüber ins Klare zu kommen, woran es
fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es
ist möglich, dass in manchen Gemüthern z. B. der Weltrichter des
Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Rafaels
Disputa andere und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideen-
folgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister
hier eine so hohe Form, dass wir froh sein müssen, ihm irgendwie
folgen zu können. — Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl
fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiss im Ganzen R.’s
Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die
ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen
Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, dass R. bis zum
1) Noch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 827, h) des Museums von
Neapel, sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt.
2) Eine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der sixtin. Madonna vor,
sonst aber vielleicht bei R. nirgends; er sparte solche Mittel für die äusser-
sten Fälle. In einem der heiligen Diacone auf der Transfiguration rührt
diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 906. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/928>, abgerufen am 18.07.2024.
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