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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo.
Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten
noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges
beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.;
die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem an-
astossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette
über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit
bden beiden Wanderern nach Emmaus.) -- In der Academie die dem
heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen
herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Ma-
donna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr
schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr
Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich
durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des
XV. Jahrh. überzeugen kann. -- Das Vollkommenste, was B. gelei-
cstet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal.
Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens viel-
leicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten;
die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der
Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und
strenge Composition in holdseligster Weise ab. -- Ebenda: ein grosses,
reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches
als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch
durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist,
aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin
tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl.
dRafaels Disputa). -- In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rund-
bildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend,
als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die
grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna, der Maria
und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollen-
det, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren,
so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll
aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben er-
füllt ist.

e

Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti)
die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf

Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo.
Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten
noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges
beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.;
die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem an-
astossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette
über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit
bden beiden Wanderern nach Emmaus.) — In der Academie die dem
heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen
herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Ma-
donna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr
schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr
Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich
durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des
XV. Jahrh. überzeugen kann. — Das Vollkommenste, was B. gelei-
cstet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal.
Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens viel-
leicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten;
die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der
Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und
strenge Composition in holdseligster Weise ab. — Ebenda: ein grosses,
reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches
als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch
durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist,
aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin
tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl.
dRafaels Disputa). — In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rund-
bildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend,
als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die
grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna, der Maria
und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollen-
det, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren,
so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll
aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben er-
füllt ist.

e

Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti)
die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf

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[882/0904] Malerei des XVI. Jahrhunderts. Fra Bartolommeo. Frauen ein ewiges Vorbild symmetrischer Profilgestalten; die Putten noch in der Weise des XV. Jahrh. mit Emporheben des Vorhanges beschäftigt, aber schon von dem höhern Geschlecht des XVI. Jahrh.; die Farbe, wo sie erhalten ist, von tiefem Goldton. (In dem an- stossenden Kloster war 1854 von B. nur die einfach schöne Lunette über dem hintern Eingang des Refectoriums sichtbar: Christus mit den beiden Wanderern nach Emmaus.) — In der Academie die dem heil. Bernhard erscheinende Madonna (etwa 1504; noch mit einigen herben Zügen der Köpfe); hier ist die Gruppe der Engel um die Ma- donna mit der gewohnten symmetrischen Strenge componirt, aber sehr schön ins Profil (oder Dreiviertelansicht) gesetzt und zugleich ihr Schweben eben so leicht als erhaben ausgedrückt, wovon man sich durch einen vergleichenden Blick auf die nächsten Engeldarsteller des XV. Jahrh. überzeugen kann. — Das Vollkommenste, was B. gelei- stet, ist dann vielleicht der Auferstandene mit 4 Heiligen (Pal. Pitti); grandioser und weihevoller ist die Geberde des Segnens viel- leicht nie dargestellt worden; die Heiligen sind erhabene Gestalten; die beiden Putten, welche einen runden Spiegel mit dem Bilde der Welt (als Landschaft) halten, schliessen als Basis diese einfache und strenge Composition in holdseligster Weise ab. — Ebenda: ein grosses, reiches Altarbild aus S. Marco (wo jetzt eine Copie steht), welches als offenbar spätes Werk in den Charakteren etwas allgemein, auch durch die braune Untermalung in den Schatten sehr geschwärzt ist, aber ein Wunder der Composition; die Engel, welche den Baldachin tragen, entsprechen strenge der halbkreisförmigen untern Gruppe (vgl. Rafaels Disputa). — In den Uffizien ist schon ein ganz kleines Rund- bildchen, der Salvator auf zwei Engeln und einem Cherub schwebend, als Construction sehr merkwürdig; noch mehr aber (ebendaselbst) die grosse braune Untermalung des Bildes der h. Anna, der Maria und vieler Heiligen, glücklicher Weise als Untermalung ganz vollen- det, auch in den durchgängig schönen und bedeutenden Charakteren, so dass die vollkommene Architektonik nicht nur überall geistvoll aufgehoben, sondern auch mit dem edelsten individuellen Leben er- füllt ist. a b c d Von einzelnen Gestalten ist der colossale heil. Marcus (Pal. Pitti) die wichtigste. Allein hier betritt der Frate denselben Abweg, auf

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 882. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/904>, abgerufen am 18.12.2024.