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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
wegte, contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt
sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen,
welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen
die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer
sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste.
(Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte, z. B. seine nackten
Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Bunt-
farbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leucht-
kraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen
Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte.) Er stellt
seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander -- während alle
andern Schulen sie gruppiren -- und ordnet seine Glorien, Krönungen
und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail,
sobald er wollte, das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der
Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle.
(In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte.)

Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Hand-
werkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro's vielleicht das
grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das
lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die
Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu
fordern war.

Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass
Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schön-
sten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augen-
blick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die hol-
deste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehn-
sucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte biswei-
len wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf ein-
mal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen
Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben.
Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe
genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess
eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen,
diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorge-
bracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Noth-

Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien.
wegte, contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt
sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen,
welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen
die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer
sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste.
(Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte, z. B. seine nackten
Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Bunt-
farbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leucht-
kraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen
Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte.) Er stellt
seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander — während alle
andern Schulen sie gruppiren — und ordnet seine Glorien, Krönungen
und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail,
sobald er wollte, das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der
Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle.
(In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte.)

Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Hand-
werkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro’s vielleicht das
grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das
lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die
Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu
fordern war.

Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass
Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schön-
sten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augen-
blick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die hol-
deste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehn-
sucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte biswei-
len wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf ein-
mal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen
Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben.
Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe
genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess
eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen,
diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorge-
bracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Noth-

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[834/0856] Malerei des XV. Jahrhunderts. Umbrien. wegte, contrastreiche Gegenstände überliess er dem Pinturicchio, statt sich durch dieselben frisch zu halten. Zu den verzückten Köpfen, welche die Leute von ihm begehrten, gehörten Leiber und Stellungen die in der That nur wie Zugaben aussehen, und die der Beschauer sehr bald auswendig lernt, weil schon der Maler sie auswendig wusste. (Derselbe Pietro zeichnete, sobald er wollte, z. B. seine nackten Figuren trefflich.) Er entzückte seine Leute ferner durch grelle Bunt- farbigkeit und spielend reich ornamentirte Gewandung. (Die Leucht- kraft des Colorites und die so fein gestimmten Einzelpartien in manchen Bildern zeigen wiederum was er konnte, sobald er wollte.) Er stellt seine Heiligen unten ohne Weiteres nebeneinander — während alle andern Schulen sie gruppiren — und ordnet seine Glorien, Krönungen und Himmelfahrten oben nach einem Schema. (Wogegen das Detail, sobald er wollte, das feinste Liniengefühl verräth.) Im Wurf der Gewandung erhebt er sich selten mehr über das Todt-Conventionelle. (In das Sistina sieht man was er früher konnte und wollte.) Unter allen Künstlern, welche ihr Pfund vergruben und zu Hand- werkern herabgesunken sind, ist das Beispiel Pietro’s vielleicht das grösste und kläglichste. Freilich, was man von ihm verlangte, das lieferte er sauber, solid, vollständig, auch in der späten Zeit, da die Kräfte nachliessen, und da keine neue Auffassung mehr von ihm zu fordern war. Was nun die Köpfe betrifft, so ist vor Allem anzuerkennen, dass Perugino aus der gährenden florentinischen Kunstwelt gerade die schön- sten Anregungen in sich aufnahm. Es muss einen göttlichen Augen- blick in seinem Leben gegeben haben, da er zum erstenmal die hol- deste Form mit dem Ausdruck der süssesten Schwärmerei, der Sehn- sucht, der tiefsten Andacht erfüllte. Der Augenblick kehrte biswei- len wieder; noch in spätern Bildern werden einzelne Köpfe auf ein- mal ergreifend wahr, mitten unter andern, welche einen ähnlichen Ausdruck nur mit den gewohnten stereotypen Mitteln wiedergeben. Um hierüber ins Klare zu kommen, muss man einige seiner Köpfe genau nach Typus und Ausdruck analysiren und sich fragen, wie diess eigenthümliche Oval, diese schwermüthig blickenden Taubenaugen, diese kleinen schon beinah vom Weinen zuckenden Lippen hervorge- bracht sind, und ob sie an der betreffenden Stelle irgend eine Noth-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 834. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/856>, abgerufen am 17.06.2024.