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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.

Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind
meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im
Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Em-
maus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten.


In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit
aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina, einem
Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in
Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild
aals das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den
bUffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung
zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund
gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren,
findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Über-
gänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen
Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illu-
sionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende
Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle
Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in
schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Mo-
dellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde
und zwar auf hundert verschiedene Weisen 1). Neben diesen Lei-
stungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene
Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im C o-
lorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio,
selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini
selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.)

*grossen Meister nicht unbefangen aneignen können. Glorie des h. Thomas
Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; -- grosses Abendmal (1549)
**in S. Martino. über der Thür; -- in S. Francesco zu Padua die Fresken
der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. -- Von einem Lands-
+mann Francesco da Santa Croce, eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510
im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc.
1) ++In den Uffizien ist die dem Bellini zugeschriebene Zeichnung auf Gypsgrund
merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt.
Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig.

Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind
meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im
Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Em-
maus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten.


In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit
aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina, einem
Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in
Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild
aals das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den
bUffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung
zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund
gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren,
findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Über-
gänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen
Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illu-
sionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende
Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle
Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in
schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Mo-
dellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde
und zwar auf hundert verschiedene Weisen 1). Neben diesen Lei-
stungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene
Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im C o-
lorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio,
selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini
selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.)

*grossen Meister nicht unbefangen aneignen können. Glorie des h. Thomas
Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; — grosses Abendmal (1549)
**in S. Martino. über der Thür; — in S. Francesco zu Padua die Fresken
der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. — Von einem Lands-
mann Francesco da Santa Croce, eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510
im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc.
1) ††In den Uffizien ist die dem Bellini zugeschriebene Zeichnung auf Gypsgrund
merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt.
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[824/0846] Malerei des XV. Jahrhunderts. Venedig. Die biblischen Ereignisse, welche diese Venezianer malen, sind meist ausgesucht ruhige Scenen, deren Wesentliches sich schon im Halbfigurenbild geben liess. Nicht umsonst hat z. B. das Mahl in Em- maus hier so grosse Gunst genossen, wovon unten. In dieser Schule bildet sich zuerst das venezianische Colorit aus. Möglich, dass sie dabei dem Antonello da Messina, einem Schüler der van Eyck, Einiges verdankte, der sich längere Zeit in Venedig aufhielt. (In Italien kenne ich von ihm kein sicheres Bild als das Porträt eines schwarzlockigen Mannes im Pelzkleid, in den Uffizien. Ein anderes, in der Galerie Manfrin, hängt für die Prüfung zu hoch.) Jedenfalls hatten schon die Muranesen (S. 786) den Grund gelegt. Ohne sich irgendwo in raffinirte Detailpracht zu verlieren, findet nun die Schule die Geheimnisse der Harmonie und der Über- gänge sowohl als der möglichst schönen Erscheinung der einzelnen Farbe. In letzterer Beziehung erstrebte sie durchaus nicht eine illu- sionsmässige Stoffbezeichnung; in den Gewändern giebt sie glühende Transparenz, im Nackten aber jenes unbeschreiblich weiche und edle Leben der Oberfläche, welches theils durch die sicherste, nicht in schwarzen Schatten, sondern in lauter farbigen Tönen sprechende Mo- dellirung, theils durch Geheimnisse der Lasirung hervorgebracht wurde und zwar auf hundert verschiedene Weisen 1). Neben diesen Lei- stungen erscheint alles Paduanische wie eine längst überwundene Vorstufe. Der Grösste der Schule, Giov. Bellini, ist es auch im C o- lorit und im Vortrag; andere behalten einige Schärfen (Carpaccio, selbst Cima) oder neigen sich dem weichen Zerfliessen zu. (Bellini selbst geht bisweilen auf duftige Leichtigkeit aus.) a b 1) 1) In den Uffizien ist die dem Bellini zugeschriebene Zeichnung auf Gypsgrund merkwürdig, welche den Leichnam Christi von 7 Personen umgeben darstellt. 1) grossen Meister nicht unbefangen aneignen können. Glorie des h. Thomas Becket, in S. Silvestro zu Venedig, 1. Alt. 1.; — grosses Abendmal (1549) in S. Martino. über der Thür; — in S. Francesco zu Padua die Fresken der 2. Cap. r. Sein Colorit bleibt venezianisch glühend. — Von einem Lands- mann Francesco da Santa Croce, eine Kreuzabnahme vom Jahr 1510 im Pal. Manfrin, ein Abendmahl in S. Francesco della vigna, 2. Cap. 1, etc.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 824. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/846>, abgerufen am 09.06.2024.