ungeahnte Fülle der freisten und edelsten Charakteristik auf einmal in die Kunst herein. Hatten schon Giotto und seine Schule ihre dramati- schen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauer- schaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mit- handelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Ge- wänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendig- ste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Ver- kürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie. (Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.)
Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dema Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als M.'s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne desb ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van Eyck beseelt haben muss. M.'s eigenes Porträt (?, ebenda, bei denc Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe.
Die Lunetten im Kirchlein S. Martino (der Brüderschaft de' Buo-d nuomini) zu Florenz gelten mit Recht als Werk eines trefflichen Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Ba- rocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Ju- gendwerk des Filippino Lippi kann ich sie nicht betrachten, da kein Anklang an seinen Lehrer Sandro darin zu erkennen ist.
Masaccio und Masolino.
ungeahnte Fülle der freisten und edelsten Charakteristik auf einmal in die Kunst herein. Hatten schon Giotto und seine Schule ihre dramati- schen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauer- schaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mit- handelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Ge- wänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendig- ste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Ver- kürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie. (Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.)
Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dema Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als M.’s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne desb ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van Eyck beseelt haben muss. M.’s eigenes Porträt (?, ebenda, bei denc Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe.
Die Lunetten im Kirchlein S. Martino (der Brüderschaft de’ Buo-d nuomini) zu Florenz gelten mit Recht als Werk eines trefflichen Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Ba- rocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Ju- gendwerk des Filippino Lippi kann ich sie nicht betrachten, da kein Anklang an seinen Lehrer Sandro darin zu erkennen ist.
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Masaccio und Masolino.
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schen Scenen gerne mit einer zahlreichen, theilnehmenden Zuschauer-
schaft bereichert, so führt nun Masaccio das damalige Florenz als mit-
handelnd oder zuschauend mitten in den Hergang (Erweckung des
Königssohnes, wovon Einiges dem Filippino Lippi angehört); er trennt
und verbindet die Scenen, Gruppen und Personen nicht mehr nach
architektonischen, sondern nach malerischen Gesetzen binnen einer
naturwahren Räumlichkeit (Findung des Groschens im Munde des
Fisches; die Heilung der Krüppel; das Almosen). Und über dem
grossen malerischen Sieg vergass Masaccio das Höchste nicht; seine
Hauptperson, der Apostel Petrus, ist durchgängig mit einer Würde
und Macht ausgestattet und auf eine Weise gestellt und bewegt, wie
diess nur dem grössten Historienmaler möglich war. Vollends gehört
nur einem solchen die Einfachheit der ganzen Behandlung an; alle
Nachfolger bis auf Lionardo gefallen sich im Besitz der grossen neuen
Kunstmittel; Masaccio allein hält zurück und erreicht so den Eindruck
eines harmonischen Ganzen. Mit wie Wenigem hat er z. B. die Ge-
wänder geschaffen, in denen sich der höchste Styl und der lebendig-
ste Wurf verbinden. Die Schwierigkeiten der Modellirung und Ver-
kürzung sucht er nicht auf; wo sie aber liegen, überwindet er sie.
(Bestes Licht: Nachmittags vier Uhr.)
Das einfach grossartige Bild der heil. Anna mit Maria und dem
Kinde, in der Academie zu Florenz, zeigt noch recht den aus einer
idealen Richtung hervorgegangen Realisten. Dagegen spricht der als
M.’s Vater geltende Greisenkopf in den Uffizien dieselbe Wonne des
ersten vollkommenen Individualisirens aus, welche einen Johann van
Eyck beseelt haben muss. M.’s eigenes Porträt (?, ebenda, bei den
Malerbildnissen) erscheint wie eine höchst geistreiche Frescoprobe.
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Schülers von M.; sie geben eine edle Lebensfülle noch ohne das Ba-
rocke und Überladene späterer Florentiner des XV. Jahrh. Als Ju-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 799. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/821>, abgerufen am 18.12.2024.
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