am Grabe; -- Mariä Krönung; -- und die Anbetung der Könige, eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Ma- saccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen aist. -- Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus, sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, -- der englische Gruss, -- und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt.
Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt bsich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte cFrescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Da- mianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen in- nerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Or- densstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr wie hier als Ganzes zusammenwirken.
Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahr- hunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini's herrlichste Bilder stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Bei-
Malerei des germanischen Styles. Fiesole.
am Grabe; — Mariä Krönung; — und die Anbetung der Könige, eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Ma- saccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen aist. — Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus, sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, — der englische Gruss, — und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt.
Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt bsich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte cFrescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Da- mianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen in- nerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Or- densstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr wie hier als Ganzes zusammenwirken.
Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahr- hunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini’s herrlichste Bilder stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Bei-
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Malerei des germanischen Styles. Fiesole.
am Grabe; — Mariä Krönung; — und die Anbetung der Könige,
eine späte und reiche Arbeit, die vielleicht einen Wetteifer mit Ma-
saccio verräth.) Der überquellende Reichthum an den schönsten und
naivsten Köpfen ist gepaart mit einem Geist und einer Tiefe in der
Auffassung der Thatsachen, wie sie nur den grössten Meistern eigen
ist. — Die Fresken in den Gängen (der Gekreuzigte mit S. Dominicus,
sehr dem Bild im vordern Kreuzgang entsprechend, — der englische
Gruss, — und eine thronende Madonna) sind gegenwärtig, da das
Kloster theilweise als Caserne dient, mit Brettern bedeckt.
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Wie Fiesole für eine schon mehr öffentliche Andacht malte, zeigt
sich an den Fresken des vordern Kreuzganges zu ebener Erde. Es
sind fünf spitzbogige Lunetten mit Halbfiguren (worunter Christus
mit zwei Ordensheiligen besonders schön ist); ferner Christus am
Kreuz mit dem heil. Dominicus, lebensgross; endlich das berühmte
Frescobild des anstossenden Capitelsaales: der Gekreuzigte mit den
beiden Schächern, seinen Angehörigen und den heiligen Cosmas, Da-
mianus, Laurentius, Marcus, Johannes d. T., Dominicus, Ambrosius,
Augustinus, Hieronymus, Franciscus, Benedict, Bernhard, Bernardino
von Siena, Romuald, Petrus Martyr und Thomas von Aquino. Es ist
eine schmerzliche Klage der ganzen Kirche, welche hier in ihren
grossen Lehrern und Ordensstiftern am Fuss des Kreuzes versammelt
ist. So lange es eine Malerei giebt, wird man diese Gestalten wegen
der unerreichten Intensivität des Ausdruckes bewundern; Contraste
der Hingebung, des Schmerzes, der Verzückung und des ruhigen in-
nerlichen Erwägens (in S. Benedict, der die Schaar der übrigen Or-
densstifter wie ein Vater überschaut) werden wohl nirgends mehr
wie hier als Ganzes zusammenwirken.
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c
Es ist eine bedeutende Thatsache jener unvergesslichen Jahr-
hunderte der Kunstgeschichte, dass mehrere der grössten Künstler ihr
Bestes und Meistes in späten Lebensjahren, wenigstens erst nach dem
fünfzigsten Jahre gaben. Lionardo war nahe an diesem Alter, als er
sein Abendmahl in Mailand schuf; Giovanni Bellini’s herrlichste Bilder
stammen aus seinen achtziger Jahren; Tizian und Michelangelo haben
als Greise noch das Staunenswürdigste hervorgebracht. Es existirt
aus dem XVI. Jahrh. ein vielverbreiteter kleiner Stich, welcher einen
alten Mann in einem Räderstuhl für Kinder darstellt, mit der Bei-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 790. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/812>, abgerufen am 18.12.2024.
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