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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des germanischen Styles. Venedig.

Die Kunstübung Venedigs, mit wenigen Ausnahmen (wie die
Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de' mascoli in S. Marco,
S. 737, c. u. d.) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto's Einfluss
am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die
grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch
direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit ein-
zelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altar-
awerke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano, 1357 oder
b1367 in der Academie; von Niccolo di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.)

Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von
Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die
gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf
den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet:
Johannes und Antonius von Murano; Johannes aber heisst
mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius
gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini.
cDrei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S.
Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. rechts), eine figurenreiche Krönung
dMariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda,
eein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich
fwiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446:
Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen
deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in
der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fa-
briano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den
Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durch-
sichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen
Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch
das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individuali-
sirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV.
gJahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca
von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano
(d. h. Vivarini), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe
hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von
obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.)


Malerei des germanischen Styles. Venedig.

Die Kunstübung Venedigs, mit wenigen Ausnahmen (wie die
Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de’ mascoli in S. Marco,
S. 737, c. u. d.) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto’s Einfluss
am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die
grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch
direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit ein-
zelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altar-
awerke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano, 1357 oder
b1367 in der Academie; von Niccolò di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.)

Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von
Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die
gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf
den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet:
Johannes und Antonius von Murano; Johannes aber heisst
mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius
gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini.
cDrei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S.
Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. rechts), eine figurenreiche Krönung
dMariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda,
eein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich
fwiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446:
Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen
deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in
der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fa-
briano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den
Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durch-
sichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen
Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch
das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individuali-
sirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV.
gJahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca
von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano
(d. h. Vivarini), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe
hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von
obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.)


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[786/0808] Malerei des germanischen Styles. Venedig. Die Kunstübung Venedigs, mit wenigen Ausnahmen (wie die Mosaiken in der Cap. S. Isidoro und der Cap. de’ mascoli in S. Marco, S. 737, c. u. d.) auf Altartafeln beschränkt, empfand von Giotto’s Einfluss am wenigsten. Die Prachtausstattung, die tiefen Lackfarben, auch die grünlichen Schatten im Fleische und der Farbenauftrag erinnern noch direct an die lange Herrschaft der Byzantiner; in der Süssigkeit ein- zelner Köpfe scheint auch ein sienesischer Anklang zu liegen. (Altar- werke von Nic. Semitecolo und Lor. Veneziano, 1357 oder 1367 in der Academie; von Niccolò di Pietro 1394 im Pal. Manfrin.) a b Gegen die Mitte des XV. Jahrh. gehen aus einer Werkstatt von Murano jene prächtigen Altarwerke hervor, an welchen schon die gothische Einfassung (S. 213), wo sie erhalten ist, die Absicht auf den höchsten Glanz des Reichthums darthut. Sie sind bezeichnet: Johannes und Antonius von Murano; Johannes aber heisst mehrmals Alamannus und war ohne Zweifel ein Deutscher; Antonius gehörte zu der später berühmten Künstlerfamilie der Vivarini. Drei Altarwerke, mit den Daten 1443 und 1444 finden sich in S. Zaccaria zu Venedig (2. Nebencap. rechts), eine figurenreiche Krönung Mariä mit dem (neu aufgemalten) Datum 1440 in der Academie ebenda, ein ähnliches Bild in S. Pantaleon (Cap. links vom Chor), endlich wiederum in der Academie ein grosses Gemälde vom Jahr 1446: Maria thronend zwischen den vier Kirchenlehrern. Einen kenntlichen deutschen Einfluss offenbart nur etwa diese schöne, stille Maria; in der weichen Carnation liegt eher eine Hinweisung auf Gentile da Fa- briano, welcher sich längere Zeit in Venedig aufhielt. Gegenüber den Staffeleibildern der alten Florentiner ist namentlich die tiefe, durch- sichtige Farbe zu beachten; es ist der Übergang vom byzantinischen Colorit zu demjenigen des Giov. Bellini. Die Gewandung hat noch das Feierliche des germanischen Styles; in der ganzen, individuali- sirenden Auffassung aber meldet sich schon der Einfluss des XV. Jahrh., welcher endlich in dem grossen Altarwerk der Pinacoteca von Bologna, von Antonio und Bartolommeo da Murano (d. h. Vivarini), 1450, bereits harte und düstere Charakterköpfe hervorbringt. (Dasselbe weicht auch in der glanzlosern Farbe von obigen Werken ab, gleicht ihnen aber in der miniaturartigen Sorgfalt.) c d e f g

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 786. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/808>, abgerufen am 16.07.2024.