feldern Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Haupt- werk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl er- halten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In der- selben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden der- selben Cap. XV. Jahrhundert.
In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto,a der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken.
Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persön- lichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule repräsentiren wollen. Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend be- deutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste, total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vol- lem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern unseres Jahrtausends beizählen muss.
Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar keine besondere "Kennerschaft" nothwendig, sondern nur etwas Ar- beit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Be- sucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto'sb Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreund- lich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab. Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner. Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen des-
Fresken in Rom und Neapel.
feldern Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Haupt- werk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl er- halten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In der- selben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden der- selben Cap. XV. Jahrhundert.
In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto,a der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken.
Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persön- lichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule repräsentiren wollen. Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend be- deutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste, total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vol- lem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern unseres Jahrtausends beizählen muss.
Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar keine besondere „Kennerschaft“ nothwendig, sondern nur etwas Ar- beit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Be- sucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto’sb Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreund- lich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab. Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner. Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen des-
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Fresken in Rom und Neapel.
feldern Darstellung der sieben Sacramente in ihrer Ausübung, im
achten (wie es scheint) eine Allegorie Christi und der Kirche. Haupt-
werk für die Erzählungsweise in wenigen tiefgegriffenen Zügen, und
für die höchste, sprechendste Deutlichkeit der Darstellung. Wohl er-
halten und bequem zu besichtigen. (Am Besten Vormittags.) In der-
selben Kirche noch verschiedene Überreste des XIV. Jahrh., so in der
Cap. links vom Chor am Gewölbe; die Fresken an den Wänden der-
selben Cap. XV. Jahrhundert.
In S. Chiara das Gnadenbild an einem Pfeiler links, von Giotto,
der einzige Rest seiner umfangreichen Fresken.
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Es wird vielleicht als ein unberechtigter Versuch erscheinen, wenn
wir nach dieser kurzen Aufzählung eine Gesammtcharakteristik der
ganzen Schule versuchen, statt den einzelnen Meistern ihre persön-
lichen Eigenthümlichkeiten nachzuweisen. Allein abgesehen von dem
Gebot der Kürze wüssten wir in der That nicht anders zu verfahren
bei Künstlern die gar keine Eigenthümlichkeit als die ihrer Schule
repräsentiren wollen. Der Einzelne war hier gar nicht so frei; die
Schule musste ihren Bilder- und Gedankenkreis in der gegebenen
Form ganz und voll durchleben, hundert Jahre lang, ohne irgend be-
deutende Fortschritte oder Änderungen in den Darstellungsmitteln, um
dann vor dem Geist des XV. Jahrh., der die Individualitäten erlöste,
total zusammenzubrechen. Als Ganzes imponirt sie auch erst in vol-
lem Masse, und zwar so, dass man sie den grössten Denkmälern
unseres Jahrtausends beizählen muss.
Allerdings spricht sie nicht zu dem zerstreuten oder übersättigten
Auge; der Gedanke muss ihr entgegenkommen. Es ist dabei gar
keine besondere „Kennerschaft“ nothwendig, sondern nur etwas Ar-
beit. Nehmen wir z. B. das erste Werk der Schule, das dem Be-
sucher der Uffizien zu Florenz in die Augen fällt, es ist Giotto’s
Gethsemane. (Im ersten Gange, in der Nähe der Thür.) Unfreund-
lich, scheinbar ohne Lichteffekt, Individualisirung und Ausdruck der
Seele, schreckt das Bild Tausende von Besuchern ohne Weiteres ab.
Auch wenn man es mit der Loupe untersucht, wird es nicht schöner.
Vielleicht aber besinnt sich Jemand auf andere Darstellungen des-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/779>, abgerufen am 18.12.2024.
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