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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des romanischen Styles. Parma.

Je nach den Gegenden hatte der Kampf der beiden Style einen
ganz verschiedenen Verlauf. In Venedig tritt der romanische, wie
wir sahen, glänzend auf in den Mosaiken der Vorhalle der Marcus-
kirche, doch nur um ebenfalls byzantinischen Rückfällen Platz zu
amachen. In Parma enthält das Baptisterium in seinen sämmt-
lichen Fresken (mit Ausnahme der untern, welche unbedeutend giottesk
sind) eine der wichtigsten Urkunden des romanischen Styles; von ver-
schiedenen Händen der ersten Hälfte des XIII. Jahrh. ausgeführt,
zeigen sie besonders in den erzählenden Theilen, am Rand der Kup-
pel, das Eilige und Bewegte, die leidenschaftliche Geberde, welche
jenem noch keines physiognomischen Ausdruckes fähigen Styl damals
eigen ist. -- Einzelne meist ruhige Heiligenfiguren in Fresco, ver-
bschieden gemischt aus beiden Stylen, findet man an der Fassade des
Domes von Reggio (XII. oder XIII. Jahrh.), -- an den Wänden von
cS. Zeno in Verona (XII. Jahrh., hinter halb abgefallenen Malereien des
dXIV. Jahrh. hervorschauend), -- in der Vorhalle von S. Ambrogio
zu Mailand (aus verschiedenen Zeiten), u. a. a. O.


Bevor von Toscana die Rede ist, fassen wir noch einmal diese
Kunstzustände ins Auge wie sie vermuthlich sich entwickelten. Ein
jugendlicher Styl, der Vieles zu erzählen hätte, des Ausdruckes aber
nur in beschränktester Weise mächtig ist, taucht neben dem rituell
geheiligten Styl auf. Er ist noch nicht auf das Schöne und Holdselige
gerichtet, aber er empfindet auch keine Verpflichtung auf das Morose
und Ascetische; fast absichtslos gestaltet er seine Figuren jugendlich.
Ebensowenig ist für ihn ein Grund vorhanden, in der bekannten Auf-
einanderfolge byzantinischer Stellungen und Gewandmotive, in den
bestimmten Typen heiliger Geschichten u. s. w. eine absonderliche
Heiligkeit anzuerkennen; er giebt Alles nach seinen eigenen Antrieben
und schafft dabei von sich aus naturgemässere Stellungen, rund-
fliessende Gewandung, neue hastige Züge des Lebens. Man lässt ihn
an dieser und jener Kirchenwand mit seinen paar Leimfarben ge-
währen. Aber die Mosaicisten, welche ihre Technik und den byzan-
tinischen Styl für unzertrennlich halten mochten, müssen es eines
Tages erleben, dass der neue Styl sich einer der römischen Patriar-

Malerei des romanischen Styles. Parma.

Je nach den Gegenden hatte der Kampf der beiden Style einen
ganz verschiedenen Verlauf. In Venedig tritt der romanische, wie
wir sahen, glänzend auf in den Mosaiken der Vorhalle der Marcus-
kirche, doch nur um ebenfalls byzantinischen Rückfällen Platz zu
amachen. In Parma enthält das Baptisterium in seinen sämmt-
lichen Fresken (mit Ausnahme der untern, welche unbedeutend giottesk
sind) eine der wichtigsten Urkunden des romanischen Styles; von ver-
schiedenen Händen der ersten Hälfte des XIII. Jahrh. ausgeführt,
zeigen sie besonders in den erzählenden Theilen, am Rand der Kup-
pel, das Eilige und Bewegte, die leidenschaftliche Geberde, welche
jenem noch keines physiognomischen Ausdruckes fähigen Styl damals
eigen ist. — Einzelne meist ruhige Heiligenfiguren in Fresco, ver-
bschieden gemischt aus beiden Stylen, findet man an der Fassade des
Domes von Reggio (XII. oder XIII. Jahrh.), — an den Wänden von
cS. Zeno in Verona (XII. Jahrh., hinter halb abgefallenen Malereien des
dXIV. Jahrh. hervorschauend), — in der Vorhalle von S. Ambrogio
zu Mailand (aus verschiedenen Zeiten), u. a. a. O.


Bevor von Toscana die Rede ist, fassen wir noch einmal diese
Kunstzustände ins Auge wie sie vermuthlich sich entwickelten. Ein
jugendlicher Styl, der Vieles zu erzählen hätte, des Ausdruckes aber
nur in beschränktester Weise mächtig ist, taucht neben dem rituell
geheiligten Styl auf. Er ist noch nicht auf das Schöne und Holdselige
gerichtet, aber er empfindet auch keine Verpflichtung auf das Morose
und Ascetische; fast absichtslos gestaltet er seine Figuren jugendlich.
Ebensowenig ist für ihn ein Grund vorhanden, in der bekannten Auf-
einanderfolge byzantinischer Stellungen und Gewandmotive, in den
bestimmten Typen heiliger Geschichten u. s. w. eine absonderliche
Heiligkeit anzuerkennen; er giebt Alles nach seinen eigenen Antrieben
und schafft dabei von sich aus naturgemässere Stellungen, rund-
fliessende Gewandung, neue hastige Züge des Lebens. Man lässt ihn
an dieser und jener Kirchenwand mit seinen paar Leimfarben ge-
währen. Aber die Mosaicisten, welche ihre Technik und den byzan-
tinischen Styl für unzertrennlich halten mochten, müssen es eines
Tages erleben, dass der neue Styl sich einer der römischen Patriar-

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[742/0764] Malerei des romanischen Styles. Parma. Je nach den Gegenden hatte der Kampf der beiden Style einen ganz verschiedenen Verlauf. In Venedig tritt der romanische, wie wir sahen, glänzend auf in den Mosaiken der Vorhalle der Marcus- kirche, doch nur um ebenfalls byzantinischen Rückfällen Platz zu machen. In Parma enthält das Baptisterium in seinen sämmt- lichen Fresken (mit Ausnahme der untern, welche unbedeutend giottesk sind) eine der wichtigsten Urkunden des romanischen Styles; von ver- schiedenen Händen der ersten Hälfte des XIII. Jahrh. ausgeführt, zeigen sie besonders in den erzählenden Theilen, am Rand der Kup- pel, das Eilige und Bewegte, die leidenschaftliche Geberde, welche jenem noch keines physiognomischen Ausdruckes fähigen Styl damals eigen ist. — Einzelne meist ruhige Heiligenfiguren in Fresco, ver- schieden gemischt aus beiden Stylen, findet man an der Fassade des Domes von Reggio (XII. oder XIII. Jahrh.), — an den Wänden von S. Zeno in Verona (XII. Jahrh., hinter halb abgefallenen Malereien des XIV. Jahrh. hervorschauend), — in der Vorhalle von S. Ambrogio zu Mailand (aus verschiedenen Zeiten), u. a. a. O. a b c d Bevor von Toscana die Rede ist, fassen wir noch einmal diese Kunstzustände ins Auge wie sie vermuthlich sich entwickelten. Ein jugendlicher Styl, der Vieles zu erzählen hätte, des Ausdruckes aber nur in beschränktester Weise mächtig ist, taucht neben dem rituell geheiligten Styl auf. Er ist noch nicht auf das Schöne und Holdselige gerichtet, aber er empfindet auch keine Verpflichtung auf das Morose und Ascetische; fast absichtslos gestaltet er seine Figuren jugendlich. Ebensowenig ist für ihn ein Grund vorhanden, in der bekannten Auf- einanderfolge byzantinischer Stellungen und Gewandmotive, in den bestimmten Typen heiliger Geschichten u. s. w. eine absonderliche Heiligkeit anzuerkennen; er giebt Alles nach seinen eigenen Antrieben und schafft dabei von sich aus naturgemässere Stellungen, rund- fliessende Gewandung, neue hastige Züge des Lebens. Man lässt ihn an dieser und jener Kirchenwand mit seinen paar Leimfarben ge- währen. Aber die Mosaicisten, welche ihre Technik und den byzan- tinischen Styl für unzertrennlich halten mochten, müssen es eines Tages erleben, dass der neue Styl sich einer der römischen Patriar-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 742. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/764>, abgerufen am 18.12.2024.