Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Malerei des romanischen Styles.
auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk-
würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern
auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle
möglichst kostbarer Stoffe sein musste.


Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der
Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die
sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier
den romanischen nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier
findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät-
antiken im Geist der neuen Zeit statt.

Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte
immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt-
sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche
weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von
dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische
etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung
aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist
alegendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur-
bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt-
kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich-
sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich
vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die
Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach
den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na-
türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos
erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken
bder Vorhalle von S. Lorenzo fuori, -- und diejenigen der Capelle S.
cSilvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des
XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden
Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er-
starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In

Malerei des romanischen Styles.
auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk-
würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern
auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle
möglichst kostbarer Stoffe sein musste.


Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der
Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die
sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier
den romanischen nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier
findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät-
antiken im Geist der neuen Zeit statt.

Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte
immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt-
sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche
weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von
dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische
etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung
aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist
alegendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur-
bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt-
kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich-
sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich
vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die
Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach
den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na-
türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos
erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken
bder Vorhalle von S. Lorenzo fuori, — und diejenigen der Capelle S.
cSilvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des
XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden
Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er-
starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0762" n="740"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Malerei des romanischen Styles.</hi></fw><lb/>
auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk-<lb/>
würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern<lb/>
auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle<lb/>
möglichst kostbarer Stoffe sein musste.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der<lb/>
Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die<lb/>
sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier<lb/>
den <hi rendition="#g">romanischen</hi> nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier<lb/>
findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät-<lb/>
antiken im Geist der neuen Zeit statt.</p><lb/>
        <p>Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte<lb/>
immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt-<lb/>
sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche<lb/>
weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von<lb/>
dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische<lb/>
etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung<lb/>
aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist<lb/><note place="left">a</note>legendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur-<lb/>
bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt-<lb/>
kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich-<lb/>
sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich<lb/>
vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die<lb/>
Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach<lb/>
den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na-<lb/>
türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos<lb/>
erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken<lb/><note place="left">b</note>der Vorhalle von S. Lorenzo fuori, &#x2014; und diejenigen der Capelle S.<lb/><note place="left">c</note>Silvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des<lb/>
XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden<lb/>
Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er-<lb/>
starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[740/0762] Malerei des romanischen Styles. auf den Ermeln Christus als Spender der Sacramente. Ein merk- würdiger Überrest aus der Zeit, da nicht bloss die Kirche, sondern auch der Officiant ganz Symbol, ganz Programm unter der Hülle möglichst kostbarer Stoffe sein musste. Wie in der Architektur und Sculptur, so beginnt auch in der Malerei mit dem zweiten Jahrtausend eine neue Lebensregung, die sich nach einiger Zeit zu einem Styl gestaltet, welchen wir auch hier den romanischen nennen können. (Vgl. S. 99, 559.) Auch hier findet eine Umbildung des längst missverständlich wiederholten Spät- antiken im Geist der neuen Zeit statt. Neben dem in Italien herrschend gewordenen Byzantinismus hatte immer eine verwilderte alteinheimische Kunstübung fortexistirt, haupt- sächlich wohl für die Ausschmückung geringerer Kirchen, welche weder Mosaiken noch griechische Künstler bezahlen konnten. Von dieser Kunstübung, welche man im Gegensatz gegen die byzantinische etwa als eine altlangobardische benennen mag, geht nun die Neuerung aus. Das frühste namhafte Denkmal sind die Wandmalereien meist legendarischen Inhaltes in dem vermeintlichen Bacchustempel (S. Ur- bano, vgl. S. 29, e) bei Rom, angeblich vom Jahr 1011. Das Haupt- kennzeichen des neuen Styles, die lebhafte Bewegung und die gleich- sam mit Anstrengung sprechende Geberde, ist hier schon deutlich vorhanden. Trotz aller Ärmlichkeit der Ausführung erwacht doch die Theilnahme des Beschauers; die Kunst improvisirt wieder einmal nach den langen Jahrhunderten des Wiederholens und Combinirens. Na- türlich mischt sich angelerntes Byzantinisches auch in diese harmlos erzählende Wandmalerei, und ein paar spätere Arbeiten (die Fresken der Vorhalle von S. Lorenzo fuori, — und diejenigen der Capelle S. Silvestro am Vorhof von SS. Quattro coronati, beide vom Anfang des XIII. Jahrh.) unterliegen sogar wieder einer mehr byzantisirenden Manier. Allein der neue Antrieb war inzwischen schon genug er- starkt, um auch in die monumentale Mosaikmalerei einzudringen. In a b c

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/762
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/762>, abgerufen am 17.06.2024.