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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Mosaiken. Der byzantinische Styl.
tinopel nämlich, wo sich mit der Zeit die meiste und prachtvollste
Kunstübung der christlichen Welt concentrirte, bildete sich etwa seit
Justinian eine gewisse Anordnung der darzustellenden Scenen, eine
bestimmte Bildung der einzelnen Gestalten nach Bedeutung und Rang,
eine ganz besondere Behandlung alles Einzelnen zum System aus.
Dieses System lernte dann Jeder auswendig soweit seine angeborene
Fertigkeit es gestattete, und reproducirte es, meist ohne der Natur
auch nur einen Blick zu gönnen. Daher findet man z. B. so viele
fast identische Madonnen dieses Styles; daher gleichen sich die ver-
schiedenen Darstellungen derselben Scene fast ganz, und die einzelnen
heiligen Gestalten desselben Inhaltes durchaus. -- Es ist ein Räthsel
um dieses fast gänzliche Ersterben der Subjectivität 1), zu Gunsten
eines bis in alles Detail durchgeführten gleichartigen Typus, und
man muss schon die Kunst alter, stillestehender Culturvölker (der
Ägypter, Chinesen etc.) zur Vergleichung herbeiziehen, um zu be-
greifen, wie das ganze Gebiet der Form einem durchgehenden ge-
heiligten Recht unterthan werden konnte. -- Die Grundlage des by-
zantinischen Systems bilden allerdings antike Reminiscenzen, aber in
kaum mehr kenntlicher Erstarrung. Der Ausdruck der Heiligkeit
wird durchgehends in der Morosität gesucht, da der Kunst der Weg
abgeschnitten ist, durch freie Hoheit der Form den Gedanken an das
Überirdische zu wecken; selbst die Madonna wird mürrisch, obschon
die kleinen Lippen und die schmale Nase einen gewissen Anspruch
auf Lieblichkeit zu machen scheinen; in männlichen Köpfen tritt oft
noch eine ganz fatale Tücke hinzu. Die Gewandung, in einer be-
stimmten Anzahl von Motiven gehandhabt, hat eine bestimmte Art
feiner, starrer Falten und Brüche; wo der Typus es verlangt, ist sie
nichts als eine Fläche von Ornamenten, Gold und Juwelen; sonst
dient das Gold in Tafelbildern durchgängig und in Mosaiken oft zur
Darstellung der aufgehöhten Lichter. Die Bewegungen und Stellungen
werden immer todter und haben bereits in Arbeiten des XI. Jahrh.,

1) Sie flüchtet sich z. B. in die Miniaturen, oder äussert sich darin wenigstens
durch Reproduction besserer alter Originale. Allmälig stirbt sie aber wirk-
lich ab und löst, wo sie muss, neue Aufgaben, z. B. Martergeschichten etc.
durch blosse neue Combination der sonst angelernten Elemente.

Mosaiken. Der byzantinische Styl.
tinopel nämlich, wo sich mit der Zeit die meiste und prachtvollste
Kunstübung der christlichen Welt concentrirte, bildete sich etwa seit
Justinian eine gewisse Anordnung der darzustellenden Scenen, eine
bestimmte Bildung der einzelnen Gestalten nach Bedeutung und Rang,
eine ganz besondere Behandlung alles Einzelnen zum System aus.
Dieses System lernte dann Jeder auswendig soweit seine angeborene
Fertigkeit es gestattete, und reproducirte es, meist ohne der Natur
auch nur einen Blick zu gönnen. Daher findet man z. B. so viele
fast identische Madonnen dieses Styles; daher gleichen sich die ver-
schiedenen Darstellungen derselben Scene fast ganz, und die einzelnen
heiligen Gestalten desselben Inhaltes durchaus. — Es ist ein Räthsel
um dieses fast gänzliche Ersterben der Subjectivität 1), zu Gunsten
eines bis in alles Detail durchgeführten gleichartigen Typus, und
man muss schon die Kunst alter, stillestehender Culturvölker (der
Ägypter, Chinesen etc.) zur Vergleichung herbeiziehen, um zu be-
greifen, wie das ganze Gebiet der Form einem durchgehenden ge-
heiligten Recht unterthan werden konnte. — Die Grundlage des by-
zantinischen Systems bilden allerdings antike Reminiscenzen, aber in
kaum mehr kenntlicher Erstarrung. Der Ausdruck der Heiligkeit
wird durchgehends in der Morosität gesucht, da der Kunst der Weg
abgeschnitten ist, durch freie Hoheit der Form den Gedanken an das
Überirdische zu wecken; selbst die Madonna wird mürrisch, obschon
die kleinen Lippen und die schmale Nase einen gewissen Anspruch
auf Lieblichkeit zu machen scheinen; in männlichen Köpfen tritt oft
noch eine ganz fatale Tücke hinzu. Die Gewandung, in einer be-
stimmten Anzahl von Motiven gehandhabt, hat eine bestimmte Art
feiner, starrer Falten und Brüche; wo der Typus es verlangt, ist sie
nichts als eine Fläche von Ornamenten, Gold und Juwelen; sonst
dient das Gold in Tafelbildern durchgängig und in Mosaiken oft zur
Darstellung der aufgehöhten Lichter. Die Bewegungen und Stellungen
werden immer todter und haben bereits in Arbeiten des XI. Jahrh.,

1) Sie flüchtet sich z. B. in die Miniaturen, oder äussert sich darin wenigstens
durch Reproduction besserer alter Originale. Allmälig stirbt sie aber wirk-
lich ab und löst, wo sie muss, neue Aufgaben, z. B. Martergeschichten etc.
durch blosse neue Combination der sonst angelernten Elemente.
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[729/0751] Mosaiken. Der byzantinische Styl. tinopel nämlich, wo sich mit der Zeit die meiste und prachtvollste Kunstübung der christlichen Welt concentrirte, bildete sich etwa seit Justinian eine gewisse Anordnung der darzustellenden Scenen, eine bestimmte Bildung der einzelnen Gestalten nach Bedeutung und Rang, eine ganz besondere Behandlung alles Einzelnen zum System aus. Dieses System lernte dann Jeder auswendig soweit seine angeborene Fertigkeit es gestattete, und reproducirte es, meist ohne der Natur auch nur einen Blick zu gönnen. Daher findet man z. B. so viele fast identische Madonnen dieses Styles; daher gleichen sich die ver- schiedenen Darstellungen derselben Scene fast ganz, und die einzelnen heiligen Gestalten desselben Inhaltes durchaus. — Es ist ein Räthsel um dieses fast gänzliche Ersterben der Subjectivität 1), zu Gunsten eines bis in alles Detail durchgeführten gleichartigen Typus, und man muss schon die Kunst alter, stillestehender Culturvölker (der Ägypter, Chinesen etc.) zur Vergleichung herbeiziehen, um zu be- greifen, wie das ganze Gebiet der Form einem durchgehenden ge- heiligten Recht unterthan werden konnte. — Die Grundlage des by- zantinischen Systems bilden allerdings antike Reminiscenzen, aber in kaum mehr kenntlicher Erstarrung. Der Ausdruck der Heiligkeit wird durchgehends in der Morosität gesucht, da der Kunst der Weg abgeschnitten ist, durch freie Hoheit der Form den Gedanken an das Überirdische zu wecken; selbst die Madonna wird mürrisch, obschon die kleinen Lippen und die schmale Nase einen gewissen Anspruch auf Lieblichkeit zu machen scheinen; in männlichen Köpfen tritt oft noch eine ganz fatale Tücke hinzu. Die Gewandung, in einer be- stimmten Anzahl von Motiven gehandhabt, hat eine bestimmte Art feiner, starrer Falten und Brüche; wo der Typus es verlangt, ist sie nichts als eine Fläche von Ornamenten, Gold und Juwelen; sonst dient das Gold in Tafelbildern durchgängig und in Mosaiken oft zur Darstellung der aufgehöhten Lichter. Die Bewegungen und Stellungen werden immer todter und haben bereits in Arbeiten des XI. Jahrh., 1) Sie flüchtet sich z. B. in die Miniaturen, oder äussert sich darin wenigstens durch Reproduction besserer alter Originale. Allmälig stirbt sie aber wirk- lich ab und löst, wo sie muss, neue Aufgaben, z. B. Martergeschichten etc. durch blosse neue Combination der sonst angelernten Elemente.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/751>, abgerufen am 17.06.2024.