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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Antike Malerei. Vasen.
vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische
Behandlung vergönnt.

Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist
eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches
Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Fi-
guren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde
möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glie-
der in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber an-
gegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente,
die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeut-
lichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern
Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die
Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde
eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier
schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln
oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene
Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles
Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch an-
gedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten.

Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel we-
niger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine
Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren, welche eben
wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt
wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung
bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam
amachen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel
darbietet.

Aufgestützt sitzende Männer. -- Tanzende Satyrn. -- Jünglinge
der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. -- Schwe-
bende geflügelte Genien. -- Herrliche springende Bacchanten. -- Ein
Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. -- Sitzende
Frauen mit nacktem Oberleib ,den einen Fuss hinter dem andern, oft von
grosser Schönheit. -- Schwebende Siegesgöttinnen. -- Verhüllte Tän-
zerinnen. -- Mänaden. -- Die Toilette einer Frau oder Braut, welche
sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen,
welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne

Antike Malerei. Vasen.
vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische
Behandlung vergönnt.

Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist
eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches
Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Fi-
guren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde
möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glie-
der in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber an-
gegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente,
die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeut-
lichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern
Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die
Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde
eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier
schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln
oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene
Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles
Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch an-
gedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten.

Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel we-
niger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine
Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren, welche eben
wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt
wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung
bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam
amachen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel
darbietet.

Aufgestützt sitzende Männer. — Tanzende Satyrn. — Jünglinge
der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. — Schwe-
bende geflügelte Genien. — Herrliche springende Bacchanten. — Ein
Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. — Sitzende
Frauen mit nacktem Oberleib ‚den einen Fuss hinter dem andern, oft von
grosser Schönheit. — Schwebende Siegesgöttinnen. — Verhüllte Tän-
zerinnen. — Mänaden. — Die Toilette einer Frau oder Braut, welche
sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen,
welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne

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[718/0740] Antike Malerei. Vasen. vor. Uns sind jedoch nur einige Andeutungen über die künstlerische Behandlung vergönnt. Im Ganzen folgt dieser Styl dem griechischen Reliefstyl. Es ist eine ähnliche perspectivische Entwicklung der Gestalt, ein ähnliches Princip der Schneidungen, eine ähnliche Erzählungsweise. Die Fi- guren sind meist auseinander gehalten, ihre Haltung und Geberde möglichst sprechend. Bei bekleideten Gestalten wurden erst die Glie- der in raschem Umriss hingezeichnet, dann das Gewand darüber an- gegeben und zwar von den Falten gerade so viel, als dazu diente, die Gestalt selbst und zugleich den Gang des Gewandes zu verdeut- lichen. Die Köpfe sind ohne irgend welche Absicht auf besondern Ausdruck oder besondere Schönheit sehr allgemein behandelt. Die Angabe des Raumes musste bei dem gemeinsamen schwarzen Grunde eine möglichst einfache, symbolische sein. Ein Stern bedeutet hier schon die Nacht, ein kleiner Vorhang das Zimmer, ein paar Muscheln oder Delphine die See, eine krumme Reihe von Punkten das unebene Erdreich, eine Säule mit Gefäss die Ringschule u. s. w. Auch alles Geräthe, wie z. B. Wagen, Tische u. dgl. ist bloss stenographisch an- gedeutet, um den Blick für das Wesentliche frei zu halten. Den höchsten künstlerischen Genuss gewähren in der Regel we- niger die figurenreichen mythischen Compositionen, als vielmehr eine Anzahl einzelner und oft wiederkehrender Figuren, welche eben wegen ihres anerkannten Werthes immer von Neuem frei wiederholt wurden. Der Beschauer wird sie in jeder bedeutendern Sammlung bald herausfinden; wir wollen nur auf einiges Wenige aufmerksam machen, was sich z. B. bei einem Gang durch das Museum von Neapel darbietet. a Aufgestützt sitzende Männer. — Tanzende Satyrn. — Jünglinge der Ringschule, nackt oder in Mäntel gehüllt und aufgestützt. — Schwe- bende geflügelte Genien. — Herrliche springende Bacchanten. — Ein Sprechender, nackt, den einen Fuss auf einem Felsstück. — Sitzende Frauen mit nacktem Oberleib ‚den einen Fuss hinter dem andern, oft von grosser Schönheit. — Schwebende Siegesgöttinnen. — Verhüllte Tän- zerinnen. — Mänaden. — Die Toilette einer Frau oder Braut, welche sitzend den Schleier überzieht oder ablegt; unter den Dienerinnen, welche Schmuck und Körbchen etc. bringen, bisweilen eine sehr schöne

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 718. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/740>, abgerufen am 18.12.2024.