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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme
des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint.

Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht
zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf
der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe-
nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk-
amal Papst Julius II für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori-
ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini-
tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm-
lung der Handzeichnungen aufbewahrt. Ein hoher Bau in länglichem
Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von
Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in
Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden-
falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer
Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja
eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien
des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch
waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes
gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der
Welt geworden.

Erst dreissig Jahre später, unter Paul III kam dasjenige Denk-
bmal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es
ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge-
worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf
des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen
Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss so gut es geht,
ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das
ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten
Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym-
bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in
der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik.
-- Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung
des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner
Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie
von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern
erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk-

Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme
des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint.

Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht
zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf
der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe-
nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk-
amal Papst Julius II für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori-
ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini-
tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm-
lung der Handzeichnungen aufbewahrt. Ein hoher Bau in länglichem
Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von
Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in
Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden-
falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer
Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja
eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien
des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch
waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes
gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der
Welt geworden.

Erst dreissig Jahre später, unter Paul III kam dasjenige Denk-
bmal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es
ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge-
worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf
des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen
Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss so gut es geht,
ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das
ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten
Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym-
bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in
der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik.
Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung
des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner
Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie
von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern
erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk-

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[670/0692] Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo. David ungemein an Schönheit und Leben, allerdings mit Ausnahme des Kopfes, der in einer ganz andern Stimmung hinzugearbeitet scheint. Wenn in dieser Statue noch eine gewisse Modellbefangenheit nicht zu verkennen ist, so finden wir Michelangelo einige Jahre später auf der Höhe seines künstlerischen Könnens in dem nach 1504 entworfe- nen, in der nächstfolgenden Zeit stückweise ausgeführten Grabdenk- mal Papst Julius II für die Peterskirche. Die sehr flüchtige Ori- ginalzeichnung, die von dem Werke doch vielleicht nicht das defini- tiv angenommene Project wiedergiebt, ist in der florentinischen Samm- lung der Handzeichnungen aufbewahrt. Ein hoher Bau in länglichem Viereck sollte an seinen Wänden nackte gefesselte Gestalten (die von Julius wiedererworbenen Provinzen und die durch seinen Tod in Knechtschaft gedachten Künste) und auf seinen Vorsprüngen jeden- falls die sitzenden Statuen des Moses und Paulus enthalten, anderer Zuthaten nicht zu gedenken. Die Symbolik war eine willkürliche, ja eine zweideutige; wer hätte z. B. Moses und Paulus für Allegorien des thätigen und des beschaulichen Lebens genommen? und doch waren sie so gemeint. Aber als plastisch-architektonisches Ganzes gedacht wäre das Grabmal doch immer eines der ersten Werke der Welt geworden. a Erst dreissig Jahre später, unter Paul III kam dasjenige Denk- mal zu Stande, welches jetzt in S. Pietro in Vincoli steht. Es ist kein Freibau, sondern nur noch ein barocker Wandbau daraus ge- worden; die obern Figuren sind von den Schülern nach dem Entwurf des Meisters hinzugearbeitet und zwar nicht glücklich; in dem armen Papst, der sich zwischen zwei Pfeilern strecken muss so gut es geht, ist auch die Anordnung unverzeihlich. Unten aber stehen die für das ursprüngliche Project in der frühern Zeit eigenhändig gearbeiteten Statuen des Moses, nebst Rahel und Lea, letztere wiederum als Sym- bole des beschaulichen und des thätigen Lebens, nach einer schon in der Theologie des Mittelalters vorkommenden, an sich absurden Typik. — Moses scheint in dem Moment dargestellt, da er die Verehrung des goldenen Kalbes erblickt und aufspringen will. Es lebt in seiner Gestalt die Vorbereitung zu einer gewaltigen Bewegung, wie man sie von der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist, nur mit Zittern erwarten mag. Seine Arme und Hände sind von einer insofern wirk- b

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/692>, abgerufen am 18.12.2024.