Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon- gruppen in der Art Mazzoni's (S. 635) noch sprechender finden, als den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren- gung diese Historien veredelt haben.
Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief a(die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli, in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge- niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen -- mit Übergehung des Riccio und seiner localen Schule -- die Brüder An- tonio und Tullio Lombardi, wahrscheinlich als alte und aner- kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen bworden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief (vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter- gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver- muthen nach Tullio's Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem sechsten steht die Jahrzahl 1525.
Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler cein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst- mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea's hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier dmehrere vorkommen. Dagegen ist Campagna im dritten Relief (Er- weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. -- Einen andern schon mehr emanierirten Schüler Jacopo S.'s erkennt man dann im zweiten Relief (Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder Giov.
Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Reliefs im Santo.
Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon- gruppen in der Art Mazzoni’s (S. 635) noch sprechender finden, als den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren- gung diese Historien veredelt haben.
Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief a(die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli, in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge- niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder An- tonio und Tullio Lombardi, wahrscheinlich als alte und aner- kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen bworden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief (vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter- gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver- muthen nach Tullio’s Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem sechsten steht die Jahrzahl 1525.
Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler cein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst- mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea’s hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier dmehrere vorkommen. Dagegen ist Campagna im dritten Relief (Er- weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr emanierirten Schüler Jacopo S.’s erkennt man dann im zweiten Relief (Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder Giov.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0684"n="662"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Reliefs im Santo.</hi></fw><lb/>
Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens<lb/>
dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese<lb/>
Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu<lb/>
drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein<lb/>
Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie<lb/>
geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon-<lb/>
gruppen in der Art Mazzoni’s (S. 635) noch sprechender finden, als<lb/>
den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren-<lb/>
gung diese Historien veredelt haben.</p><lb/><p>Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher<lb/>
Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem<lb/>
Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief<lb/><noteplace="left">a</note>(die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von <hirendition="#g">Antonio Minelli</hi>,<lb/>
in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst<lb/>
an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des<lb/>
ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge-<lb/>
niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit<lb/>
Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder <hirendition="#g">An-<lb/>
tonio</hi> und <hirendition="#g">Tullio Lombardi</hi>, wahrscheinlich als alte und aner-<lb/>
kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen<lb/><noteplace="left">b</note>worden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief<lb/>
(vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter-<lb/>
gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver-<lb/>
muthen nach Tullio’s Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem<lb/>
sechsten steht die Jahrzahl 1525.</p><lb/><p>Darauf trat <hirendition="#g">Jacopo Sansovino</hi> mit mehrern seiner Schüler<lb/><noteplace="left">c</note>ein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst-<lb/>
mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür<lb/>
verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea’s<lb/>
hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier<lb/><noteplace="left">d</note>mehrere vorkommen. Dagegen ist <hirendition="#g">Campagna</hi> im dritten Relief (Er-<lb/>
weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte<lb/>
Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen<lb/>
harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr<lb/><noteplace="left">e</note>manierirten Schüler Jacopo S.’s erkennt man dann im zweiten Relief<lb/>
(Ermordung der Frau), welches einem gew. <hirendition="#g">Paolo Stella</hi> oder <hirendition="#g">Giov</hi>.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[662/0684]
Sculptur des XVI. Jahrhunderts. Reliefs im Santo.
Ursache, nämlich dem Machtwort, dem Dasein, dem Gebet, höchstens
dem Gestus des Heiligen. Für die andächtige Menge, welche diese
Stätte besucht und die Stirn an die Rückseite des Heiligensarges zu
drücken pflegt, ist allerdings über diesen Causalzusammenhang kein
Zweifel vorhanden; sie verstand und versteht diese Reliefs, die für sie
geschaffen sind, vollkommen, würde aber vielleicht doch bemalte Thon-
gruppen in der Art Mazzoni’s (S. 635) noch sprechender finden, als
den idealen Styl, durch welchen die Künstler mit namenloser Anstren-
gung diese Historien veredelt haben.
Die allmählige Bestellung und Ausführung hat in geschichtlicher
Beziehung einiges Dunkle. Jedenfalls wollten die Besteller von allem
Anfang an nur Grosses und Bedeutendes. Wenn das erste Relief
(die Aufnahme des Heiligen in den Orden), von Antonio Minelli,
in der That schon 1512 gearbeitet ist, so hätte man sich gleich zuerst
an einen vorzüglichen wahrscheinlich florentinischen Mitstrebenden des
ältern Andrea Sansovino gewandt; es ist eines der edelsten und ge-
niessbarsten der ganzen Reihe. Um dieselbe Zeit scheinen — mit
Übergehung des Riccio und seiner localen Schule — die Brüder An-
tonio und Tullio Lombardi, wahrscheinlich als alte und aner-
kannte Häupter der venezianischen Sculptur in Anspruch genommen
worden zu sein; sie lieferten das sechste, siebente und neunte Relief
(vgl. S. 627, c, d) und gaben wahrscheinlich die architektonischen Hinter-
gründe mit Stadtansichten auch für alle übrigen an. (Diess ist zu ver-
muthen nach Tullio’s Relief an der Scuola di S. Marco.) Auf dem
sechsten steht die Jahrzahl 1525.
a
b
Darauf trat Jacopo Sansovino mit mehrern seiner Schüler
ein. Sein eigenes Relief, das vierte (Wiedererweckung der Selbst-
mörderin) ist auffallend manierirt; welche Epoche seines Lebens dafür
verantwortlich sein mag, ist schwer zu sagen; ein Schüler Andrea’s
hätte überhaupt nie solche Körper und Köpfe bilden dürfen, wie hier
mehrere vorkommen. Dagegen ist Campagna im dritten Relief (Er-
weckung des todten Jünglings) auf seiner vollen Höhe; die nackte
Halbfigur höchst edel gebildet und entwickelt, die Linien des Ganzen
harmonisch, alles Einzelne sehr gediegen. — Einen andern schon mehr
manierirten Schüler Jacopo S.’s erkennt man dann im zweiten Relief
(Ermordung der Frau), welches einem gew. Paolo Stella oder Giov.
c
d
e
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/684>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.