Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi.
rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol-
denen Zeit Giov. Bellini's, mag wiederum eher dem Leopardo ange-
hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende
Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.


Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom-
bardo's
Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von
Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam-
ahaft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab-
mal Trevisan 1) im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio
zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt
oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder

Tullio. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu-
gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters
in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat
sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem-
selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze
Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer
Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti-
gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar-
tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.

b

Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de' mira-
coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind
die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe -- worunter
Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen
wie Jugendwerke Rafaels -- und die Reliefscheiben an den meisten
cThürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel,
welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht,
mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte
ddas grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo (2. Altar links)
entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand

1) Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstor-
benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor-
nehmen Todten.

Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi.
rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol-
denen Zeit Giov. Bellini’s, mag wiederum eher dem Leopardo ange-
hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende
Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.


Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom-
bardo’s
Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von
Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam-
ahaft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab-
mal Trevisan 1) im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio
zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt
oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder

Tullio. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu-
gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters
in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat
sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem-
selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze
Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer
Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti-
gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar-
tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.

b

Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de’ mira-
coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind
die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe — worunter
Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen
wie Jugendwerke Rafaels — und die Reliefscheiben an den meisten
cThürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel,
welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht,
mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte
ddas grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo (2. Altar links)
entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand

1) Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstor-
benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor-
nehmen Todten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0648" n="626"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi.</hi></fw><lb/>
rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol-<lb/>
denen Zeit Giov. Bellini&#x2019;s, mag wiederum eher dem Leopardo ange-<lb/>
hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende<lb/>
Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen <hi rendition="#g">Pietro Lom-<lb/>
bardo&#x2019;s</hi> Söhne <hi rendition="#g">Antonio</hi> und <hi rendition="#g">Tullio</hi> aufgewachsen zu sein. Von<lb/>
Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam-<lb/><note place="left">a</note>haft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab-<lb/>
mal Trevisan <note place="foot" n="1)">Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstor-<lb/>
benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor-<lb/>
nehmen Todten.</note> im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio<lb/>
zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt<lb/>
oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Tullio</hi>. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu-<lb/>
gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters<lb/>
in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat<lb/>
sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem-<lb/>
selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze<lb/>
Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer<lb/>
Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti-<lb/>
gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar-<lb/>
tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind.</p><lb/>
        <note place="left">b</note>
        <p>Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de&#x2019; mira-<lb/>
coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind<lb/>
die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe &#x2014; worunter<lb/>
Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen<lb/>
wie Jugendwerke Rafaels &#x2014; und die Reliefscheiben an den meisten<lb/><note place="left">c</note>Thürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel,<lb/>
welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht,<lb/>
mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte<lb/><note place="left">d</note>das grosse Relief in S. <hi rendition="#g">Giovanni Crisostomo</hi> (2. Altar links)<lb/>
entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[626/0648] Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Lombardi. rühmte Madonna della Scarpa dagegen, dieser reine Gedanke der gol- denen Zeit Giov. Bellini’s, mag wiederum eher dem Leopardo ange- hören. Vorzüglich schön ist das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind, welches sich eben zum Segnen anschickt. Unter diesen gemischten Eindrücken scheinen Pietro Lom- bardo’s Söhne Antonio und Tullio aufgewachsen zu sein. Von Antonio werden meines Wissens nur zwei sichere Einzelarbeiten nam- haft gemacht: die Statue des h. Thomas von Aquino über dem Grab- mal Trevisan 1) im linken Seitenschiff der Frari, und in S. Antonio zu Padua, Cap. del Santo, das neunte Relief, wovon unten. Er folgt oder geht voran (im Styl) seinem berühmtern Bruder a Tullio. Von Leopardo und von dem Studium der Antike zu- gleich berührt, hat er diese Einwirkungen mit der Lehre seines Vaters in einen gewissen Einklang gebracht. Sein grosser Schönheitssinn hat sich zwar in gewisse Manieren verfangen, da die innere Kraft dem- selben nicht gleich stand. (Feine, wie gekämmte Falten, unnütze Zierlichkeiten der Haare, conventionelle Stellungen etc.) An sicherer Naivetät steht er dem Leopardo beträchtlich nach. Allein im günsti- gen Fall hat er Werke hervorgebracht, welche nicht zu den grossar- tigsten, wohl aber zu den ansprechendsten jener Zeit zu rechnen sind. Zum Frühsten möchten diejenigen Arbeiten in S. Maria de’ mira- coli gehören, welche ich ihm glaube zuschreiben zu müssen; es sind die halben Figuren auf der Balustrade der Chortreppe — worunter Maria und gegenüber der Engel Gabriel vielverheissend erscheinen wie Jugendwerke Rafaels — und die Reliefscheiben an den meisten Thürpfosten. Dann sind datirt vom J. 1484 die vier knieenden Engel, welche das Taufbecken in S. Martino (links) tragen, schön gedacht, mit andächtigen und anmuthigen Köpfen. Nicht viel später möchte das grosse Relief in S. Giovanni Crisostomo (2. Altar links) entstanden sein; Christus, von den Aposteln umgeben, legt die Hand c d 1) Von wem ist an diesem Grabe die Porträtstatue des jungen, 1528 verstor- benen Alvise Trevisan? Jedenfalls ein Muster des nobeln Liegens eines vor- nehmen Todten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/648
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/648>, abgerufen am 18.12.2024.