aArbeit Desiderio's kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479, ebenda) zeigt die Büste einen geistvollern Naturalismus als der der meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der prächtige S. Regulus-Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts (die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende Ma- donna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines An- drea Sansovino. -- Dagegen genügt der S. Sebastian am Tempietto (linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene Bildung, wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen können.
Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der bJohannescapelle im Dom von Genua betrachten: Jesajas, Elisabeth, Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. -- Adam und Eva, leider mit Gyps- draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu- tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosen Ausdrucke flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als "Mutter des Menschenge- schlechtes" reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand- motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss- geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali's.
Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit- tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre, dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb- crunde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom (eine ehemalige Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. -- Später hat Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo's Statuen beständig
Sculptur des XV Jahrhunderts. Civitali.
aArbeit Desiderio’s kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479, ebenda) zeigt die Büste einen geistvollern Naturalismus als der der meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der prächtige S. Regulus-Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts (die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende Ma- donna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines An- drea Sansovino. — Dagegen genügt der S. Sebastian am Tempietto (linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene Bildung, wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen können.
Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der bJohannescapelle im Dom von Genua betrachten: Jesajas, Elisabeth, Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. — Adam und Eva, leider mit Gyps- draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu- tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosen Ausdrucke flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als „Mutter des Menschenge- schlechtes“ reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand- motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss- geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali’s.
Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit- tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre, dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb- crunde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom (eine ehemalige Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. — Später hat Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo’s Statuen beständig
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Sculptur des XV Jahrhunderts. Civitali.
Arbeit Desiderio’s kaum nachzusetzen. An dem Grabmal Bertini (1479,
ebenda) zeigt die Büste einen geistvollern Naturalismus als der der
meisten Florentiner. Zunächst rechts vom Chor endlich steht der
prächtige S. Regulus-Altar (1484), ein Hauptwerk des Jahrhunderts
(die Predella ausgenommen, welche wohl von Mino sein könnte). Die
drei untern Statuen entsprechen dem Imposantesten der damaligen
Historienmalerei; die Engel mit Candelabern und die thronende Ma-
donna oben haben schon etwas von der freien Lieblichkeit eines An-
drea Sansovino. — Dagegen genügt der S. Sebastian am Tempietto
(linkes Seitenschiff) nicht ganz; es ist keine so vollkommene Bildung,
wie sie der Meister in dem bevorzugten Lucca hätte schaffen können.
a
Als Werk seines Alters dürfen wir die sechs Seitenstatuen der
Johannescapelle im Dom von Genua betrachten: Jesajas, Elisabeth,
Eva, Habacuc, Zacharias, Adam. — Adam und Eva, leider mit Gyps-
draperien der berninischen Zeit verunziert, sind oder waren bedeu-
tende naturalistische Gestalten, Adam mit einem grandiosen Ausdrucke
flehenden Schmerzes; Eva absichtlich als „Mutter des Menschenge-
schlechtes“ reich und stark gebildet. Die übrigen sind theils etwas
müde, theils gesuchte Motive; im Zacharias sollte das Anhören einer
Offenbarung ausgedrückt werden, was aber bei der ungenügenden
Körperlichkeit und wunderlichen Tracht vollkommen missglückte; im
Jesajas und in der Elisabeth sind zwar einzelne sehr schöne Gewand-
motive, allein die Seele des S. Regulus fehlt; Habacuc ist eine miss-
geschaffene Genrefigur. Möglicherweise sind die vier Reliefhalbfiguren
der Evangelisten an den Pendentifs der Kuppel, die wieder deutlich
an Ghirlandajo erinnern, ebenfalls Werke Civitali’s.
b
Welches nun auch der absolute Werth dieser Sculpturen sei, in dem
von Antiken entblössten, vom florentinischen Kunstleben abgeschnit-
tenen Genua galten sie als das Höchste. Wenn auszumitteln wäre,
dass Matteo selber für längere Zeit hier wohnte, so möchte der halb-
runde untere Theil des Reliefs auf dem 5. Altar rechts im Dom (eine
ehemalige Lunette) von einem genuesischen Schüler herrühren. Es
stellt die Madonna mit zwei Engeln vor, deren einer den kleinen
knieenden Johannes präsentirt; eine sehr gute Arbeit. — Später hat
Taddeo Carlone und seine ganze Schule an Matteo’s Statuen beständig
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/628>, abgerufen am 18.12.2024.
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