was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich zu Tage förderten. Als Gegengewicht legt Donatello beständig seine Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper- bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein- zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be- zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden.
Nur er war im Stande, die heil. Magdalena so darzustellen,a wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes desb Täufers; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni); was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauterc Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor); wenigstens ungesuchterd in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit -- aller- dings unter den Bedingungen des XV. Jahrh. -- fehlte, wenn er nur wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim-e mer der Bronzen).
Eine etwas edlere Bildung zeigt der Crucifixus in S. Crocef zu Florenz (Cap. Bardi, Ende d. l. Querschiffes), ein kunstgeschicht- lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz mit Brunellesco (S. 596, b). -- (Das bronzene Crucifix sammt den dazu gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand derg Verf. wegen der Fasten verhüllt.)
In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo- delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des Mannequin's sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu- ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti's. So z. B. in dem bronze- nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlern Portal von S. Croce,h dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde. Die Stellun-
Donatello. Statuen.
was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich zu Tage förderten. Als Gegengewicht legt Donatello beständig seine Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper- bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein- zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be- zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden.
Nur er war im Stande, die heil. Magdalena so darzustellen,a wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes desb Täufers; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni); was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauterc Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor); wenigstens ungesuchterd in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit — aller- dings unter den Bedingungen des XV. Jahrh. — fehlte, wenn er nur wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim-e mer der Bronzen).
Eine etwas edlere Bildung zeigt der Crucifixus in S. Crocef zu Florenz (Cap. Bardi, Ende d. l. Querschiffes), ein kunstgeschicht- lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz mit Brunellesco (S. 596, b). — (Das bronzene Crucifix sammt den dazu gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand derg Verf. wegen der Fasten verhüllt.)
In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo- delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des Mannequin’s sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu- ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti’s. So z. B. in dem bronze- nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlern Portal von S. Croce,h dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde. Die Stellun-
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Donatello. Statuen.
was andere vielleicht ungleich weniger begabte Zeitgenossen glücklich
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Charakteristik in die Wagschale. Selbst die einfach normale Körper-
bildung muss daneben unaufhörlich zurücktreten, während er die Ein-
zelheiten der menschlichen Gestalt begierig aufgreift, um sie zur Be-
zeichnung des gewollten Ganzen zu verwenden.
Nur er war im Stande, die heil. Magdalena so darzustellen,
wie sie im Baptisterium von Florenz dasteht; an der zum länglichen
Viereck abgemagerten Figur hängen die Haare wie ein zottiges Fell
herunter. Das Gegenstück dazu bilden die Statuen Johannes des
Täufers; so die bronzene im Dom von Siena (Cap. S. Giovanni);
was das sehr umständlich behandelte Thierfell vom Körper übrig
lässt, besteht aus lauter Adern und Knochen; ungleich geringer die
marmorne in den Uffizien (Ende des 2. Ganges), welche vor lauter
Charakter weder so stehen noch auch nur leben könnte. Ein dritter
mehr dem sienesischen entsprechender Johannes findet sich in den
Frari zu Venedig (2. Cap. links vom Chor); wenigstens ungesuchter
in der Stellung. Zum Beweis, wie wenig ihm die Schönheit — aller-
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wollte, dient der jugendliche bronzene David in den Uffizien (I. Zim-
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lich (als Muster Späterer) wichtiges Werk, geschaffen in Concurrenz
mit Brunellesco (S. 596, b). — (Das bronzene Crucifix sammt den dazu
gehörenden Statuen hinten im Chor des Santo zu Padua fand der
Verf. wegen der Fasten verhüllt.)
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In der Gewandung arbeitete Donatello ganz offenbar nach Mo-
delldraperien in einem meist schweren Stoff und ohne die Motive des
Mannequin’s sowohl als der Falten lange zu wählen. Wo er nicht
durch sonstige sehr bedeutende Züge entschädigt, erscheint er daher
in durchschnittlichem Nachtheil gegenüber den stylvollen Gewandfigu-
ren des XIV. Jahrh. und vollends Ghiberti’s. So z. B. in dem bronze-
nen S. Ludwig von Toulouse über dem mittlern Portal von S. Croce,
dessen Kopf er absichtlich bornirt gebildet haben soll. Sonst sind
seine Heiligen in der Regel Porträtköpfe guter Freunde. Die Stellun-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/619>, abgerufen am 18.12.2024.
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