Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie-
denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher
und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und
Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre.
Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und
Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig 1).

a

Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom.
Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo-
nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher
Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine
Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die
Züge zu liegen kam -- diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca's
Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti's
untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto-
lommeo.)

Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu-
ren von gebranntem und glasirtem Thon, deren Florenz und
die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt;
meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend
weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer
merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit,
die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs
wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen
Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss
an vier Farben: gelb, grün, blau, violett 2); erst in der spätern Zeit
der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und
führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch
hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de-
corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben-
system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung,

1) Noch eine Marmorarbeit Luca's wären drei von den Statuen an der Dom-
*seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von
**Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un-
möglich. -- Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus
befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien.
2) Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt.

Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.
singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie-
denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher
und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und
Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre.
Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und
Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig 1).

a

Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom.
Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo-
nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher
Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine
Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die
Züge zu liegen kam — diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca’s
Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti’s
untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto-
lommeo.)

Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu-
ren von gebranntem und glasirtem Thon, deren Florenz und
die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt;
meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend
weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer
merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit,
die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs
wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen
Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss
an vier Farben: gelb, grün, blau, violett 2); erst in der spätern Zeit
der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und
führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch
hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de-
corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben-
system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung,

1) Noch eine Marmorarbeit Luca’s wären drei von den Statuen an der Dom-
*seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von
**Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un-
möglich. — Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus
befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien.
2) Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0612" n="590"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia.</hi></fw><lb/>
singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie-<lb/>
denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher<lb/>
und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und<lb/>
Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre.<lb/>
Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und<lb/>
Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig <note place="foot" n="1)">Noch eine Marmorarbeit Luca&#x2019;s wären drei von den Statuen an der Dom-<lb/><note place="left">*</note>seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von<lb/><note place="left">**</note>Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un-<lb/>
möglich. &#x2014; Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus<lb/>
befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien.</note>.</p><lb/>
        <note place="left">a</note>
        <p>Im <hi rendition="#g">Erzguss</hi> lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom.<lb/>
Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo-<lb/>
nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher<lb/>
Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine<lb/>
Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die<lb/>
Züge zu liegen kam &#x2014; diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca&#x2019;s<lb/>
Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti&#x2019;s<lb/>
untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto-<lb/>
lommeo.)</p><lb/>
        <p>Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu-<lb/>
ren von <hi rendition="#g">gebranntem und glasirtem Thon</hi>, deren Florenz und<lb/>
die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt;<lb/>
meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend<lb/>
weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer<lb/>
merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit,<lb/>
die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs<lb/>
wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen<lb/>
Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss<lb/>
an vier Farben: gelb, grün, blau, violett <note place="foot" n="2)">Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt.</note>; erst in der spätern Zeit<lb/>
der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und<lb/>
führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch<lb/>
hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de-<lb/>
corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben-<lb/>
system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[590/0612] Sculptur des XV. Jahrhunderts. Die Robbia. singende, musicirende und tanzende Knaben und Mädchen verschie- denen Alters. Nirgends tritt uns das XV. Jahrhundert anmuthreicher und naiver entgegen als hier; es ist keine schöne naive Stellung und Geberde im Kinder- und Jugendleben, die nicht hier verewigt wäre. Manche Motive sind auch plastisch von vollendeter Schönheit und Strenge, der Ausdruck durchgängig überaus liebenswürdig 1). Im Erzguss lieferte Luca die Thüren der Sacristei im Dom. Bei grosser Schönheit des Einzelnen sind sie doch kein ganz harmo- nisches Werk; die Anordnung im Raum, die Wiederholung ähnlicher Motive (je ein sitzender Heiliger mit zwei Engeln etc.), der kleine Massstab, wodurch der Ausdruck mehr in die Geberde als in die Züge zu liegen kam — diess Alles stimmte nicht ganz zu Luca’s Weise, und auch in dem Grad der Reliefbehandlung fehlt Ghiberti’s untrügliche Sicherheit. (Ein Theil der Felder von Maso di Barto- lommeo.) Bei weitem die zahlreichsten Werke der Schule sind die Sculptu- ren von gebranntem und glasirtem Thon, deren Florenz und die Umgegend (nach starker Ausfuhr) noch immer unzählige besitzt; meist Reliefs, doch auch ganze Statuen. Die Glasur, vorherrschend weiss, bei den Reliefs mit hellschmalteblauem Grunde, ist von einer merkwürdigen, wie man sagt, sehr schwer zu erreichenden Zartheit, die auch der leisesten Modellirung beinahe vollkommen folgt. Anfangs wohl aus technischem Unvermögen, in der Folge gewiss aus stylistischen Grundsätzen, hielten sich die Robbia durchschnittlich ausser dem Weiss an vier Farben: gelb, grün, blau, violett 2); erst in der spätern Zeit der Schule gaben sie dem allgemeinen Drang der Zeit nach und führten die Colorirung bisweilen nach dem Leben durch. Allein auch hier noch hielten sie eine sehr bestimmte Grenze fest; alle bloss de- corativen Figuren und Zuthaten blieben auf das bisherige Farben- system beschränkt und auch in den Hauptfiguren will die Färbung, 1) Noch eine Marmorarbeit Luca’s wären drei von den Statuen an der Dom- seite des Campanile (zwei Propheten und zwei Sibyllen; die vierte soll von Nanni di Bartolo sein. Ihre Aufstellung macht jede genauere Prüfung un- möglich. — Die beiden halbfertigen Reliefs mit der Geschichte des Petrus befinden sich bei dem Orgelfries in den Uffizien. 2) Das schon früh vorkommende Braun scheint wie nur aufgemalt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/612
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/612>, abgerufen am 18.12.2024.