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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Modena. Verona. Ferrara.

Am Dom von Modena: Aussen an der Fassade die Geschichtena
der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus
und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp-
turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft
romanischen Styles in Italien.

An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturenb
derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent-
wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung
überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver-
gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch
sind, zeigt, dass diese von der Thür des ältern Baues entlehnt sein
müssen.

(Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes diec
Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII.
Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da-
mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken
war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen,
sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die
beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis
zu Rafaels Tapete: "pasce oves meas.")

Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die and
S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet
sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten
Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese
halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie
in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der
ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken linkse
mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes
viel späteres Gegenstück.)

Das Taufbecken in S. Giovanni in Fonte (XII. Jahrhundert) zeigtf
in seinen Reliefs den saubern und sogar schwungreichen romanischen
Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein-
zelnen Theile von verschiedenem Werthe.)

Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrarag
gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Gründungszeit

B. Cicerone. 36
Modena. Verona. Ferrara.

Am Dom von Modena: Aussen an der Fassade die Geschichtena
der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus
und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp-
turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft
romanischen Styles in Italien.

An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturenb
derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent-
wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung
überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver-
gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch
sind, zeigt, dass diese von der Thür des ältern Baues entlehnt sein
müssen.

(Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes diec
Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII.
Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da-
mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken
war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen,
sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die
beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis
zu Rafaels Tapete: „pasce oves meas.“)

Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die and
S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet
sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten
Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese
halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie
in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der
ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken linkse
mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes
viel späteres Gegenstück.)

Das Taufbecken in S. Giovanni in Fonte (XII. Jahrhundert) zeigtf
in seinen Reliefs den saubern und sogar schwungreichen romanischen
Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein-
zelnen Theile von verschiedenem Werthe.)

Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrarag
gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Gründungszeit

B. Cicerone. 36
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[561/0583] Modena. Verona. Ferrara. Am Dom von Modena: Aussen an der Fassade die Geschichten der ersten Menschen, im rechten Querschiff die Passion, von Nicolaus und Guilelmus, seit 1099. Diese Arbeiten sind nebst den Portalsculp- turen bei aller Rohheit merkwürdig als frühste Denkmale wahrhaft romanischen Styles in Italien. a An der Fassade von S. Zeno in Verona (seit 1139) Sculpturen derselben Künstler, Nicolaus und Guilelmus, schon mit höher ent- wickeltem Sinn für Anordnung im Raum und für Reliefbehandlung überhaupt. (Bes. die Erschaffung der Thiere.) Der belehrende Ver- gleich mit den Bronzeplatten der Thür, welche noch ganz barbarisch sind, zeigt, dass diese von der Thür des ältern Baues entlehnt sein müssen. b (Im Innern stehen an der Mauer des rechten Seitenschiffes die Statuen Christi und der zwölf Apostel, etwa vom Anfang des XIII. Jahrhunderts, sorgfältige Arbeiten. Wie gebunden die Kunst sich da- mals fühlte, wenn irgend ein höheres geistiges Verhältniss auszudrücken war! um die ehrfürchtige Unterordnung der Apostel zu bezeichnen, sind sie alle mit einsinkenden Knieen gebildet, am merklichsten die beiden zunächst bei Christus. Es war ein weiter Weg von da bis zu Rafaels Tapete: „pasce oves meas.“) c Die Sculpturen am Portal des Domes sind befangener als die an S. Zeno, die Löwen ganz heraldisch. Im rechten Seitenschiff befindet sich ein Weihbecken romanischen Styles, auf drei burlesken, nackten Tragfiguren (die vierte fehlt). Das XV. Jahrhundert, welches diese halbdämonischen Fratzen nicht mehr als solche verstand, glaubte sie in Gestalt von Buckligen nachahmen zu müssen. Dieser Art ist der ganz tüchtige Gobbo, welcher in S. Anastasia das Weihbecken links mit so aufrichtiger Anstrengung trägt. (Derjenige rechts ein geringes viel späteres Gegenstück.) d e Das Taufbecken in S. Giovanni in Fonte (XII. Jahrhundert) zeigt in seinen Reliefs den saubern und sogar schwungreichen romanischen Styl mit noch ziemlich ungeschickten Motiven verbunden. (Die ein- zelnen Theile von verschiedenem Werthe.) f Von den Sculpturen an der Fassade des Domes von Ferrara gehören diejenigen des Mittelportals selbst noch der Gründungszeit g B. Cicerone. 36

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/583>, abgerufen am 16.06.2024.