Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Sarcophage.
Museums) einen Begriff von der fortlaufenden Erzählung 1),
welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan-
genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er-
gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände
hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken
Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst
für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz-
ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort -- nicht bloss auf einem und
demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche --
keinen Anstoss zu nehmen.

Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den
angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf-
bewahrungsorten folgen.

Im Vatican: Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumpha
des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar-
stellungen dieser Art (S. 483). -- Zwischen dem Laocoon und dem
Apoll: einer der besten Nereidensarcophage. Im Hof und inb
allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche
die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen.

Im obern Gang: Niobidensarcophag, welcher ahnen lässt,c
wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta-
tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei
den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des
Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. -- Bacchus der
die Ariadne findet; -- Luna besucht den schlafenden Endymion; --
beide von bester Erfindung.

Im Museo capitolino: unterer Gang: ein (absichtlich sehrd
zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; -- die Ge-
schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh.

Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachtene
von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels
Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; -- der colossale
Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des

1) Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch,
aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt.
35*

Sarcophage.
Museums) einen Begriff von der fortlaufenden Erzählung 1),
welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan-
genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er-
gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände
hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken
Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst
für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz-
ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort — nicht bloss auf einem und
demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche —
keinen Anstoss zu nehmen.

Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den
angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf-
bewahrungsorten folgen.

Im Vatican: Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumpha
des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar-
stellungen dieser Art (S. 483). — Zwischen dem Laocoon und dem
Apoll: einer der besten Nereidensarcophage. Im Hof und inb
allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche
die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen.

Im obern Gang: Niobidensarcophag, welcher ahnen lässt,c
wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta-
tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei
den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des
Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. — Bacchus der
die Ariadne findet; — Luna besucht den schlafenden Endymion; —
beide von bester Erfindung.

Im Museo capitolino: unterer Gang: ein (absichtlich sehrd
zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; — die Ge-
schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh.

Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachtene
von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels
Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; — der colossale
Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des

1) Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch,
aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt.
35*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0569" n="547"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sarcophage.</hi></fw><lb/>
Museums) einen Begriff von der <hi rendition="#g">fortlaufenden Erzählung</hi> <note place="foot" n="1)">Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch,<lb/>
aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt.</note>,<lb/>
welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan-<lb/>
genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er-<lb/>
gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände<lb/>
hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken<lb/>
Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst<lb/>
für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz-<lb/>
ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort &#x2014; nicht bloss auf einem und<lb/>
demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche &#x2014;<lb/>
keinen Anstoss zu nehmen.</p><lb/>
        <p>Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den<lb/>
angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf-<lb/>
bewahrungsorten folgen.</p><lb/>
        <p>Im <hi rendition="#g">Vatican</hi>: Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumph<note place="right">a</note><lb/>
des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar-<lb/>
stellungen dieser Art (S. 483). &#x2014; Zwischen dem Laocoon und dem<lb/>
Apoll: einer der besten <hi rendition="#g">Nereidensarcophage</hi>. Im Hof und in<note place="right">b</note><lb/>
allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche<lb/>
die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen.</p><lb/>
        <p>Im obern Gang: <hi rendition="#g">Niobidensarcophag</hi>, welcher ahnen lässt,<note place="right">c</note><lb/>
wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta-<lb/>
tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei<lb/>
den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des<lb/>
Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. &#x2014; Bacchus der<lb/>
die Ariadne findet; &#x2014; Luna besucht den schlafenden Endymion; &#x2014;<lb/>
beide von bester Erfindung.</p><lb/>
        <p>Im <hi rendition="#g">Museo capitolino</hi>: unterer Gang: ein (absichtlich sehr<note place="right">d</note><lb/>
zerschundenes) <hi rendition="#g">Bacchanal</hi> mit schön bewegten Figuren; &#x2014; die Ge-<lb/>
schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh.</p><lb/>
        <p>Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachten<note place="right">e</note><lb/>
von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels<lb/>
Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; &#x2014; der colossale<lb/>
Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">35*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[547/0569] Sarcophage. Museums) einen Begriff von der fortlaufenden Erzählung 1), welche dem ausgedehntern Relief eigen ist, von der höchst unbefan- genen Vereinigung mehrerer Momente zu einer Geschichte. Als Er- gänzung muss man sich allerdings die Allbekanntheit der Gegenstände hinzudenken; immerhin aber gehörte die Gleichgültigkeit des antiken Menschen gegen alle gemeine Illusion und sein offenes Auge selbst für den leisesten symbolischen Wink dazu, um an den vorausgesetz- ten Verschiedenheiten von Zeit und Ort — nicht bloss auf einem und demselben Bilde, sondern in einer und derselben vordern Fläche — keinen Anstoss zu nehmen. Wir lassen einige von denjenigen Sarcophagen, welche in den angedeuteten Beziehungen vorzüglich bezeichnend sind, nach den Auf- bewahrungsorten folgen. Im Vatican: Belvedere, im Gemach des Laocoon: der Triumph des Bacchus als Siegers über Indien, eine der vollständigsten Dar- stellungen dieser Art (S. 483). — Zwischen dem Laocoon und dem Apoll: einer der besten Nereidensarcophage. Im Hof und in allen einzelnen Räumen des Belvedere Sarcophage aller Art, welche die geläufigern Mythen vollständig umfassen mögen. a b Im obern Gang: Niobidensarcophag, welcher ahnen lässt, wie wenig oder wie viel diese Reliefs sich nach den berühmten Sta- tuengruppen richteten; man bemerke die Anwesenheit der Amme bei den Töchtern und des Pädagogen bei den Söhnen; am Rande des Deckels die schön gruppirten Leichen der Getödteten. — Bacchus der die Ariadne findet; — Luna besucht den schlafenden Endymion; — beide von bester Erfindung. c Im Museo capitolino: unterer Gang: ein (absichtlich sehr zerschundenes) Bacchanal mit schön bewegten Figuren; — die Ge- schichte Meleagers, hier gut und verhältnissmässig früh. d Untere Zimmer: eine der schon (S. 490) genannten Schlachten von Griechen oder Römern und Barbaren, am Rand des Deckels Leichen, Gefangene, trauernde Weiber, Trophäen; — der colossale Sarcophag mit der Geschichte des Achill; angeblich das Grab des e 1) Die eben bezeichneten Sculpturen der Kaiserbauten geben diesen Begriff auch, aber wir sahen auf wessen Unkosten und in wie unreiner Gestalt. 35*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/569
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/569>, abgerufen am 16.06.2024.