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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Römische Porträtkunst.
Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz
allmälig aufprägt.

Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den
Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte-
ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse
Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes, welche
Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer Nische
darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö-a
nes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzob
Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu-c
ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeigt
die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wah-
rer Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; -- eine Anzahl geringerer
Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie-d
res.) In diesen bescheidenen Denkmalern hat die Naivetät, womit
auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden
Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth-
liches. -- Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten
römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi-
schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des
Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen
griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo-
sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst-
verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren
musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend
Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn
wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen,
so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin-
den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als
Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden 1). Ihre theil-
weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der
römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können.

1) Die halbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst ge-
fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so*
deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen.

Römische Porträtkunst.
Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz
allmälig aufprägt.

Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den
Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte-
ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse
Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes, welche
Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer Nische
darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö-a
nes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzob
Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu-c
ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeigt
die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wah-
rer Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; — eine Anzahl geringerer
Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie-d
res.) In diesen bescheidenen Denkmalern hat die Naivetät, womit
auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden
Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth-
liches. — Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten
römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi-
schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des
Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen
griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo-
sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst-
verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren
musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend
Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn
wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen,
so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin-
den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als
Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden 1). Ihre theil-
weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der
römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können.

1) Die halbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst ge-
fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so*
deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen.
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[523/0545] Römische Porträtkunst. Menschen, nicht mit Büchern und Geschäften allein sich dem Antlitz allmälig aufprägt. Wie in allen guten Zeiten der Kunst, so wusste auch bei den Römern der Bildhauer nichts von künstlichem Versüssen und Inte- ressantmachen derer, welche sich abbilden liessen. Es giebt eine grosse Menge von Grabdenkmälern meist untergeordneten Werthes, welche Mann, Weib und Kind in erhabenen Halbfiguren innerhalb einer Nische darstellen. (Eine Auswahl im Vatican: Gal. lapidaria; ein sehr schö- nes im Zimmer der Büsten; eine ganze Anzahl im Hof des Palazzo Mattei; in der Villa Borghese, Zimmer des Tyrtäus, drei ganze Figu- ren in Relief, eine Mutter mit zwei Söhnen darstellend; ebendort zeigt die liegende Statue einer Jungfrau, dass auch die späte Kunst wah- rer Schönheit ihr Recht anzuthun suchte; — eine Anzahl geringerer Grabmonumente im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stie- res.) In diesen bescheidenen Denkmalern hat die Naivetät, womit auch die hässlichen und unbedeutenden Züge, ja die weitabstehenden Ohren wiedergegeben sind, etwas wahrhaft Rührendes und Gemüth- liches. — Aber auch in den Büsten und Standbildern der besten römischen Arbeit ist so wenig Geschmeicheltes, dass man der römi- schen Kunst schon eine allzu herbe und nüchterne Darstellung des Wirklichen vorgeworfen hat. Der Vergleich mit jenen halbidealen griechischen Köpfen und Statuen von Fürsten, Dichtern und Philo- sophen ist indess ein unbilliger, weil der römische Künstler nicht längst- verstorbene grosse Männer, sondern den Ersten Besten porträtiren musste; an seinen vergötterten Kaisern hat er bisweilen das irgend Mögliche von höherer monumentaler Auffassung geleistet, und wenn wir die Statuen eines Virgil, eines Horaz aus der Kaiserzeit besässen, so würden wir darin vielleicht etwas ebenso Hohes ausgedrückt fin- den als in den Aristides, Euripides, Demosthenes u. s. w., welche als Muster von Idealbildnissen mit Recht gefeiert werden 1). Ihre theil- weise Nacktheit und sehr frei gewählte Gewandung hätte sich der römische Künstler zu analogen Zwecken auch aneignen können. a b c d 1) Die halbideale Statue einer römischen Dichterin (wenn wir eine unlängst ge- fundene Figur unter Lebensgrösse im Braccio nuovo des Vaticans richtig so deuten) würde zu einer solchen Annahme einigermassen berechtigen.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/545>, abgerufen am 18.06.2024.