lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie das Ihrige aus eigenen Kräften.
Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde- tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und völlig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig re- staurirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken Schulter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder hervorkommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im aMuseum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt, wie die Füsse dieser meist sehr zertrümmerten Bilder1) für eine Auf- stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma- len, schräg vorgeschobenen Schemel.
Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag- mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt bunter dem Namen der "Kaiserstatuen von Cervetri", im Mu- seum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als man ihr gewöhnlich zutraut. -- Theilweise ebenfalls noch von hohem cWerthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti- dberius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson- ders mächtigem Gewandmotiv; -- die beiden mit modernen (ganz will- ekürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc. Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an- gehörten.
Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die
1) Sie wurden, wie so vieles Colossale, aus mehrern Stücken zusammengesetzt, die später schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen, selbst ohne absichtliche Zerstörung.
Antike Sculptur. Ideale Kaiserstatuen.
lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie das Ihrige aus eigenen Kräften.
Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde- tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und völlig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig re- staurirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken Schulter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder hervorkommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im aMuseum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt, wie die Füsse dieser meist sehr zertrümmerten Bilder1) für eine Auf- stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma- len, schräg vorgeschobenen Schemel.
Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag- mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt bunter dem Namen der „Kaiserstatuen von Cervetri“, im Mu- seum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als man ihr gewöhnlich zutraut. — Theilweise ebenfalls noch von hohem cWerthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti- dberius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson- ders mächtigem Gewandmotiv; — die beiden mit modernen (ganz will- ekürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc. Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an- gehörten.
Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die
1) Sie wurden, wie so vieles Colossale, aus mehrern Stücken zusammengesetzt, die später schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen, selbst ohne absichtliche Zerstörung.
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Antike Sculptur. Ideale Kaiserstatuen.
lern der Diadochenhöfe ausgebildet worden waren; vielleicht schuf sie
das Ihrige aus eigenen Kräften.
Es entstanden thronende Gestalten mit nacktem, ideal gebilde-
tem Oberleib, dessen leise Einwärtsbeugung eine majestätische und
völlig leichte Haltung des Hauptes vorbereiten hilft. Der eine Arm
wird durch ein hohes Scepter gestützt, das freilich selten richtig re-
staurirt ist. Das Gewand zeigt sich nur als Bausch über der linken
Schulter, zieht sich dann hinten herum und bedeckt, rechts wieder
hervorkommend, als mächtige Draperie die Kniee. Ein Fragment im
Museum von Neapel (Hof vor der Halle des farnesischen Stieres) zeigt,
wie die Füsse dieser meist sehr zertrümmerten Bilder 1) für eine Auf-
stellung auf hoher Basis berechnet wurden; sie ruhen auf einem schma-
len, schräg vorgeschobenen Schemel.
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Die schönsten Exemplare dieser Art sind noch in ihrem frag-
mentirten Zustande, die Fürsten des augusteischen Hauses, bekannt
unter dem Namen der „Kaiserstatuen von Cervetri“, im Mu-
seum des Laterans. Namentlich zeigt die Gestalt des Claudius, dass
die römische Kunst auf diesem Gebiet grösserer Dinge fähig war, als
man ihr gewöhnlich zutraut. — Theilweise ebenfalls noch von hohem
Werthe: die erste und besonders die zweite sitzende Statue des Ti-
berius im Museo Chiaramonti; der Nerva (?) in der Sala rotonda
des Vaticans; letzterer sehr zusammengeflickt, aber von ganz beson-
ders mächtigem Gewandmotiv; — die beiden mit modernen (ganz will-
kürlich gebildeten) Köpfen im Museum von Neapel (dritter Gang) etc.
Manche einzelne Kaiserköpfe in den römischen u. a. Sammlungen
zeigen nicht sowohl durch ihre Grösse als durch das eigenthümlich
Hohe der Behandlung, dass sie solchen halbidealen Bildwerken an-
gehörten.
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Endlich wurden die Kaiser als Heroen oder Götter fast oder ganz
nackt und stehend abgebildet; die Hände sind so selten alt, dass
wir keine völlige Gewissheit darüber haben, ob die vorherrschende
Haltung wirklich die der jetzigen Restaurationen war: nämlich die
1) Sie wurden, wie so vieles Colossale, aus mehrern Stücken zusammengesetzt,
die später schon durch die blosse Vernachlässigung wieder auseinander fielen,
selbst ohne absichtliche Zerstörung.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/540>, abgerufen am 18.12.2024.
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