die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens, die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min- destens geschickt und glücklich nennen müssen.
Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.
Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst- werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour- arbeit missbrauchen konnte.
Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.
Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So- sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche aspäter nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be- bmerkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd cin der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:
d
Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht
Antike Sculptur. Gruppen.
die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens, die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min- destens geschickt und glücklich nennen müssen.
Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.
Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst- werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour- arbeit missbrauchen konnte.
Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.
Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So- sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche aspäter nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be- bmerkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd cin der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:
d
Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0526"n="504"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Antike Sculptur. Gruppen.</hi></fw><lb/>
die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens,<lb/>
die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min-<lb/>
destens geschickt und glücklich nennen müssen.</p><lb/><p>Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.</p><lb/><p>Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce<lb/>
rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst-<lb/>
werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird<lb/>
uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von<lb/>
Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen<lb/>
hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour-<lb/>
arbeit missbrauchen konnte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Den Beschluss würde die weltberühmte <hirendition="#g">Gruppe der Niobe</hi><lb/>
machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen<lb/>
Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.</p><lb/><p>Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So-<lb/>
sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang<lb/>
der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der<lb/>
Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern<lb/>
dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa<lb/>
Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich<lb/>
eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche<lb/><noteplace="left">a</note>später nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen<lb/>
im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht<lb/>
nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche<lb/>
man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern<lb/>
auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte<lb/>
und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe<lb/>
einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be-<lb/><noteplace="left">b</note>merkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd<lb/><noteplace="left">c</note>in der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden<lb/>
wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe<lb/>
und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils<lb/>
mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:</p><lb/><noteplace="left">d</note><p>Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und<lb/>
Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[504/0526]
Antike Sculptur. Gruppen.
die Contraste in den Momenten der Anstrengung und des Leidens,
die Aufthürmung des Ganzen auf Felsstufen verschiedener Höhe min-
destens geschickt und glücklich nennen müssen.
Allein das Ganze richtet sich durchaus nur an den äussern Sinn.
Dass die beiden Brüder sich aus Mutterliebe an der bösen Dirce
rächen, erfahren wir aus der Mythologie, allein nicht aus dem Kunst-
werk, welches an sich nichts als eine Brutalität vorstellt. Diese wird
uns allerdings vorgeführt mit einer Energie und einem Reichthum von
Mitteln, welche die Kunst sich erst an ganz andern Gegenständen
hatte erwerben müssen, ehe sie dieselben an einer solchen Bravour-
arbeit missbrauchen konnte.
Den Beschluss würde die weltberühmte Gruppe der Niobe
machen, wenn nicht gerade die Zusammenstellung der vorhandenen
Figuren zur Gruppe so überaus streitig wäre.
Es gab im alten Rom in oder an dem Tempel des Apollo So-
sianus eine aus Griechenland gebrachte Gruppe, welche den Untergang
der Niobiden (bekanntlich durch die Geschosse des Apoll und der
Artemis) darstellte und welche die Einen dem Skopas, die Andern
dem Praxiteles zuschrieben. Im Jahr 1583 fand man in der Villa
Palombara zwischen S. Maria maggiore und dem Lateran wirklich
eine Anzahl Statuen dieses Inhalts auf; es sind diejenigen, welche
später nach Florenz kamen und jetzt nebst anderweitig gefundenen
im Niobe-Saal der Uffizien aufgestellt sind. Allein die Arbeit steht
nicht nur durchgängig beträchtlich unter derjenigen Höhe, welche
man dem Styl eines Skopas oder Praxiteles zuschreiben darf, sondern
auch die einzelnen Statuen sind unter sich höchst verschieden in Güte
und Styl, selbst in der Marmorgattung, und treten somit auf die Stufe
einer alten Copie von verschiedenen Händen zurück. Es muss be-
merkt werden, dass die beiden Ringer in der Tribuna und das Pferd
in der innern Vorhalle derselben Galerie mit diesen Statuen gefunden
wurden. Inzwischen entdeckte man an verschiedenen Orten Köpfe
und Figuren, welche theils Wiederholungen der florentinischen, theils
mit Wahrscheinlichkeit demselben Cyclus einzuordnen sind:
a
b
c
Vatican: Museo Chiaramonti: die eilende Tochter, ohne Kopf und
Arme; ein schöner Kopf (509), Ariadne benannt, gehört vielleicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/526>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.