kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlun- genen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent- wickelt.
Von der Gruppe "Herakles und der Centaur Nessus,"a im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch von der letztern ein Theil. -- Von einer viel wichtigern florentinischen Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) istb fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An- täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leib wegzureissen strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich-c net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli, Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge- habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen,d dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a.
Scenen nach dem Kampfe, vielleicht als Episoden grösserer Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam des Patroclus. Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach- gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten: 1) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, beie aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte. 2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa-f
Gruppen des Kampfes. Ajax und Patroclus.
kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlun- genen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent- wickelt.
Von der Gruppe „Herakles und der Centaur Nessus,“a im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch von der letztern ein Theil. — Von einer viel wichtigern florentinischen Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) istb fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An- täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leib wegzureissen strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich-c net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli, Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge- habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen,d dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a.
Scenen nach dem Kampfe, vielleicht als Episoden grösserer Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam des Patroclus. Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach- gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten: 1) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, beie aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte. 2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa-f
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[501/0523]
Gruppen des Kampfes. Ajax und Patroclus.
kennen musste. Noch ist der Unterliegende nicht hoffnungslos; der
Beschauer wartet gespannt auf den Ausgang. Die beiden verschlun-
genen Körper sind für die Ansicht von allen Seiten deutlich ent-
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Von der Gruppe „Herakles und der Centaur Nessus,“
im ersten Gange ebenda, ist die ganze erstere Figur neu und auch
von der letztern ein Theil. — Von einer viel wichtigern florentinischen
Gruppe, Herakles und Antäus (im Hofe des Palazzo Pitti) ist
fast die Hälfte von Michelangelo (?) restaurirt und die alten Theile
zeigen eine stark verwitterte Oberfläche; in seinem Urzustand war
das Werk vorzüglich, wenn die (immerhin nur römische) Ausführung
einigermassen der Composition entsprach; Herakles hat seinen Gegner
von der Erde aufgehoben und erdrückt ihn in der Luft, während An-
täus vergebens die Hände des Helden von seinem Leib wegzureissen
strebt; ein Gestus, welcher vielleicht in der Ringschule nicht selten
vorkam und in verschiedenen Gestalten dargestellt wurde (z. B. in
zwei Amorinen, Uffizien, Verbindungsgang), hier aber in ausgezeich-
net schöner und energischer Weise durchgeführt war. Die einseitige
Bewunderung dieser Gruppe hat im XVI. Jahrhundert auf Bandinelli,
Giov. di Bologna und ihre Mitstrebenden einen grossen Einfluss ge-
habt. (Eine kleine Bronze, Uffizien, zweites Zimmer der Bronzen,
dritter Schrank, stellt dieselbe Gruppe mit einer zuschauenden Pallas
vermehrt dar.) Vgl. S. 425, a.
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Scenen nach dem Kampfe, vielleicht als Episoden grösserer
Giebelgruppen zu betrachten, sind die beiden berühmten Werke: der
Barbar und sein Weib, in der Villa Ludovisi zu Rom (wovon S. 489, b
die Rede war) und die Gruppe des Ajax mit dem Leichnam
des Patroclus. Letztere muss ein hochbewundertes Werk aus der
Zeit des Phidias zum Original gehabt haben, welches vielfach nach-
gebildet wurde. Vier Exemplare davon sind stückweise erhalten:
1) der sog. Pasquino, an einer Ecke von Pal. Braschi zu Rom, bei
aller Verstümmelung von so einfach grandioser Arbeit, dass neuere
Kenner ihn in die Zeit des Phidias selbst versetzen, nachdem schon
Bernini ihn für die bestgearbeitete Antike in Rom erklärt hatte.
2) Der gewaltig leidenschaftliche Kopf des Ajax und die Schulter
sowie die (vorzüglich gearbeiteten) nachschleppenden Beine des Pa-
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/523>, abgerufen am 18.12.2024.
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