Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Antike Sculptur. Antinous.
Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her-
maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten
aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein
Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich-
nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten
schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes
einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta-
atue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in
bden Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind;
die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso
cim Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr-
scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.)


Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der
vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, Antinous. Es handelte
sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr
130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und
zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten
sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche
Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und
Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund
zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses
und fast Grausames.

Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein
din der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda
des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent-
weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem
Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt
eist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und
fals grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als
gOsiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht-
hvolle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im
Pal. Braschi), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern
iZeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums
von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten.

Antike Sculptur. Antinous.
Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her-
maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten
aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein
Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich-
nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten
schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes
einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta-
atue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in
bden Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind;
die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso
cim Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr-
scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.)


Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der
vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, Antinous. Es handelte
sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr
130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und
zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten
sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche
Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und
Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund
zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses
und fast Grausames.

Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein
din der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda
des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent-
weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem
Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt
eist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und
fals grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als
gOsiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht-
hvolle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im
Pal. Braschi), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern
iZeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums
von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0508" n="486"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antike Sculptur. Antinous.</hi></fw><lb/>
Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her-<lb/>
maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten<lb/>
aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein<lb/>
Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich-<lb/>
nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten<lb/>
schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes<lb/>
einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta-<lb/><note place="left">a</note>tue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in<lb/><note place="left">b</note>den Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind;<lb/>
die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso<lb/><note place="left">c</note>im Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr-<lb/>
scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.)</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der<lb/>
vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, <hi rendition="#g">Antinous</hi>. Es handelte<lb/>
sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr<lb/>
130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und<lb/>
zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten<lb/>
sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche<lb/>
Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und<lb/>
Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund<lb/>
zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses<lb/>
und fast Grausames.</p><lb/>
        <p>Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein<lb/><note place="left">d</note>in der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda<lb/>
des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent-<lb/>
weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem<lb/>
Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt<lb/><note place="left">e</note>ist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und<lb/><note place="left">f</note>als grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als<lb/><note place="left">g</note>Osiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht-<lb/><note place="left">h</note>volle Antinous als Bacchus im Museum des <hi rendition="#g">Laterans</hi> (ehemals im<lb/>
Pal. <hi rendition="#g">Braschi</hi>), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern<lb/><note place="left">i</note>Zeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums<lb/>
von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[486/0508] Antike Sculptur. Antinous. Reiz auszugiessen; man erfand auch (z. B. auf Reliefs) für den Her- maphroditen besondere Situationen, indem man ihn mit allerlei Leuten aus dem Gefolge des Dionysos zusammenbrachte, allein er blieb ein Ding aus einer fremden, abstracten Welt. Da man keine bezeich- nende Action von ihm wusste, so liess die Kunst ihn am liebsten schlafen, ja sie erhob ihn zum Charakterbild des unruhigen Schlafes einer schön gewendeten jugendlichen Gestalt. So die vorzügliche Sta- tue im Louvre, von welcher die beiden in der Villa Borghese und in den Uffizien (in den danach benannten Räumen) Wiederholungen sind; die letztgenannte die bessere, aber schlechter erhaltene. (Ein Torso im Museo Chiaramonti des Vaticans ist der eines laufenden, wahr- scheinlich vor Pan oder einem Satyr fliehenden Hermaphroditen.) a b c Der letzte Gott, welcher eine höhere Kunstform erhielt, war der vergötterte Liebling des Kaisers Hadrian, Antinous. Es handelte sich darum, die Bildnissähnlichkeit des für Hadrian freiwillig (im Jahr 130 n. Chr.) gestorbenen Jünglings im Wesentlichen festzuhalten und zugleich sie in eine ideale Höhe zu heben. Züge und Gestalt eigneten sich mehr dazu als der geistige Ausdruck; es ist eine volle, reiche Bildung, breitwölbig in Stirn und Brust, mit üppigem Munde und Nacken. Der Ausdruck aber, so schön er oft in Augen und Mund zu jugendlicher Trauer verklärt ist, behält auch bisweilen etwas Böses und fast Grausames. Ausser den zahlreichen Büsten, welche den Antinous insgemein in der Art eines jungen Heros darstellen (z. B. in der Sala rotonda des Vaticans) giebt es eine Anzahl von Statuen, in welchen er ent- weder schlechthin als segenverleihender Genius, bisweilen mit dem Füllhorn, oder in der Gestalt einer bestimmten Gottheit personificirt ist. Dahin gehört der Antinous als Vertumnus im Braccio nuovo, und als grosse Halbfigur in Relief in der Villa Albani, der Antinous als Osiris im ägyptischen Museum des Vaticans, vor allen der pracht- volle Antinous als Bacchus im Museum des Laterans (ehemals im Pal. Braschi), eine der elegantesten Colossalstatuen der spätern Zeit; von den attributlosen heroischen Statuen ist die des Museums von Neapel (Halle der Flora) unstreitig eine der schönsten. d e f g h i

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/508
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/508>, abgerufen am 18.12.2024.