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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Nymphen. Brunnenfiguren.
träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib-
liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das
zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern
auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht
klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlicha
gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War-
tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet.

Hier glauben wir auch die sog. "Psyche" aus dem Amphi-b
theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter)
unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte,
durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe
aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke
fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des
Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schat-
ten. Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen
aber eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido
in der Erfindung ebenbürtig war.

Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen
Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museumsc
von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu
erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der
schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen
Haaren, welcher jetzt Berenice heisst.

Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu
Brunnenfiguren. In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen,
meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend, oder
auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorationsarbei-
ten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken.
Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halled
des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht
ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken
Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des
linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex-
tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re-
staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplare
in den Uffizien (Verbindungsgang). -- Auch eine sehr schlecht gear-

Nymphen. Brunnenfiguren.
träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib-
liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das
zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern
auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht
klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlicha
gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War-
tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet.

Hier glauben wir auch die sog. „Psyche“ aus dem Amphi-b
theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter)
unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte,
durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe
aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke
fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des
Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schat-
ten. Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen
aber eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido
in der Erfindung ebenbürtig war.

Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen
Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museumsc
von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu
erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der
schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen
Haaren, welcher jetzt Berenice heisst.

Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu
Brunnenfiguren. In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen,
meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend, oder
auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorationsarbei-
ten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken.
Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halled
des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht
ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken
Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des
linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex-
tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re-
staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplare
in den Uffizien (Verbindungsgang). — Auch eine sehr schlecht gear-

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[455/0477] Nymphen. Brunnenfiguren. träumerisch auf das Wasser schauende Nymphe, vielleicht ein weib- liches Gegenstück zu dem sich im Quell spiegelnden Narciss. Das zerstreute Dämmern nicht nur im Ausdruck des Gesichtes, sondern auch der ungesucht nachlässigen Stellung wird dem Beschauer recht klar durch den Vergleich mit einer gegenübersitzenden, alterthümlich gearbeiteten Penelope; dieses ist die Sinnende, Rechnende und War- tende; als Matrone ist sie mit verschleiertem Haupt gebildet. a Hier glauben wir auch die sog. „Psyche“ aus dem Amphi- theater von Capua (jetzt im Museum von Neapel, Halle des Jupiter) unterbringen zu dürfen. Es ist nur ein Oberleib mit der einen Hüfte, durch neuere Politur verdorben und jetzt in einer unrichtigen Axe aufgestellt, aber von einer Süssigkeit der Bildung, die alle Blicke fesseln muss. Für Aphrodite ist namentlich der untere Theil des Kopfes zu mädchenhaft, auch liegen die Augen wohl zu tief im Schat- ten. Wir wollen nicht die Handlung und Stellung errathen, dürfen aber eine Nymphengestalt ahnen, welche der Danaide und der Dido in der Erfindung ebenbürtig war. b Einzelne Köpfe sind oft sehr schwer mit Bestimmtheit auf diesen Typus zurückzuführen. Ich glaube z. B. in einem Kopf des Museums von Neapel (grosse Bronzen) eine Gefährtin der Jägerin Artemis zu erkennen, ohne doch dieser Benennung sicher zu sein. Es ist der schöne strenge Mädchenkopf mit aufwärts zu einem Kranz gebundenen Haaren, welcher jetzt Berenice heisst. c Als Quellgottheiten eigneten sich die Nymphen vorzüglich zu Brunnenfiguren. In mehrern Sammlungen sieht man dergleichen, meist von kleinerm Massstab, Muschelbecken vor sich hinhaltend, oder auf Urnen gelehnt, immer halb bekleidet; fast lauter Decorationsarbei- ten, mittelmässig in der Ausführung und selbst oft im Gedanken. Man wird indess wohl eine Nymphe des Museums von Neapel (Halle des Adonis) ausnehmen müssen, welche wenigstens hübsch gedacht ist, als eine zum Baden sich Vorbereitende; sie lehnt mit dem linken Arm auf die Urne und greift mit der Rechten nach der Sandale des linken Fusses, den sie über das rechte Knie gelegt hat. (Diese Ex- tremitäten sind nebst dem Kopf neu, aber ohne Zweifel richtig re- staurirt. Die Arbeit an sich gering römisch.) Ein besseres Exemplar in den Uffizien (Verbindungsgang). — Auch eine sehr schlecht gear- d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/477>, abgerufen am 01.06.2024.