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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Pallas.
die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine
Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen,a
II. Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümlich,
als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten,
aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang);b
das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festge-
haltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens
alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti-
mental aufwärts.

Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in
demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab-
weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccioc
nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri 1) in der obern Ga-d
lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge-
wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt-
genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer.
Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei
hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe;
das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie
Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt.
Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen
Ausdruck so überwältigend hervortreten. -- Ob wir hier einen der
Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag un-
entschieden bleiben -- jedenfalls wird man den Künstler glücklich
preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die
Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider
stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit,
mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibul ober-e
halb der Haupttreppe).

Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen
spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati-f
cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich
als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken

1) Eine andere Pallas von Velletri im Louvre; es ist die colossale mit erhobe-
nem rechtem Arm.

Pallas.
die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine
Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen,a
II. Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümlich,
als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten,
aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang);b
das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festge-
haltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens
alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti-
mental aufwärts.

Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in
demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab-
weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccioc
nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri 1) in der obern Ga-d
lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge-
wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt-
genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer.
Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei
hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe;
das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie
Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt.
Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen
Ausdruck so überwältigend hervortreten. — Ob wir hier einen der
Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag un-
entschieden bleiben — jedenfalls wird man den Künstler glücklich
preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die
Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider
stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit,
mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibul ober-e
halb der Haupttreppe).

Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen
spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati-f
cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich
als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken

1) Eine andere Pallas von Velletri im Louvre; es ist die colossale mit erhobe-
nem rechtem Arm.
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[439/0461] Pallas. die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Thierfelles, wie eine Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen, II. Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigenthümlich, als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten, aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang); das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festge- haltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas senti- mental aufwärts. a b Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr von einander ab- weichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccio nuovo des Vaticans, und der Pallas von Velletri 1) in der obern Ga- lerie des capitolinischen Museums. In langem einfach gefaltetem Ge- wand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letzt- genannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer. Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe; das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indess doch nicht wie Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt. Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung lässt diesen Ausdruck so überwältigend hervortreten. — Ob wir hier einen der Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag un- entschieden bleiben — jedenfalls wird man den Künstler glücklich preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit, mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibul ober- halb der Haupttreppe). c d e Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im Ganzen diesen spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vati- cans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich als modern erkennen; der Kopf ist aber in der That einem antiken f 1) Eine andere Pallas von Velletri im Louvre; es ist die colossale mit erhobe- nem rechtem Arm.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/461>, abgerufen am 16.07.2024.