lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe- maligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt- niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver- hältnissmässig geringen aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er- gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den grössten Aufgaben in diesem Fache.
Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an- träfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Mu- seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen ahat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen solchen Gedanken gerathen.
So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren; man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild- hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge- wohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.
Antike Sculptur. — Restaurationen.
lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe- maligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt- niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver- hältnissmässig geringen aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er- gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den grössten Aufgaben in diesem Fache.
Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an- träfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Mu- seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen ahat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen solchen Gedanken gerathen.
So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren; man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild- hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge- wohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.
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Antike Sculptur. — Restaurationen.
lange nicht immer das Richtige getroffen; er giebt z. B. einer ehe-
maligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die
Hand; er restaurirt einen Mars als Mercur und umgekehrt. Der Laie
darf daher die bessern literarischen Hülfsmittel, welche dergleichen
Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kennt-
niss dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen musste nach einem ver-
hältnissmässig geringen aber an Kunstwerth ausgezeichneten Rest das
Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende er-
gänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche
Restaurationen an mehreren von den äginetischen Figuren so wie am
barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek; auch der rechte
Arm des Laocoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den
grössten Aufgaben in diesem Fache.
Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht
ursprünglich dazu gehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe an-
träfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Mu-
seen sehr häufig und lässt sich insgemein schwer, ja in einzelnen
Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor
dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen
hat (Vatican, Sala della Biga), wird Niemand von selbst auf einen
solchen Gedanken gerathen.
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So weit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren;
man kann ihre Thätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie
so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon
im Alterthum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei
politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von
Bildnissstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bild-
hauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen
im Vorrath gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung
ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Diess stimmte trefflich zu der seit
Alexander aufgekommenen Sitte vieler Grossen, sich in Gestalt einer
Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Ge-
wohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es
war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne
oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/434>, abgerufen am 18.12.2024.
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