Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Villen und Gärten.
so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön
und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts
Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen
Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent-
gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten
künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar
machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh-
hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo-
dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt 1). Der
Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht,
wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche
des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym-
metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst
ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen
mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen
Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro),
durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er
im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer-
den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets
gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin's erweitert und wo-
möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch
architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher
nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng-
lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung
als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes
Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über-
lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi-
anienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge-
wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad-
linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf
Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung
oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall

1) *Man versäume nicht, sich zur Villa Torlonia vor Porta Pia Einlass zu
verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst
gegenüber der classischen in den ältern Villen.

Villen und Gärten.
so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön
und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts
Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen
Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent-
gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten
künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar
machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh-
hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo-
dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt 1). Der
Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht,
wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche
des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym-
metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst
ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen
mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen
Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro),
durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er
im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer-
den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets
gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin’s erweitert und wo-
möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch
architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher
nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng-
lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung
als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes
Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über-
lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi-
anienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge-
wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad-
linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf
Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung
oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall

1) *Man versäume nicht, sich zur Villa Torlonia vor Porta Pia Einlass zu
verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst
gegenüber der classischen in den ältern Villen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0424" n="402"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Villen und Gärten.</hi></fw><lb/>
so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön<lb/>
und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts<lb/>
Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen<lb/>
Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent-<lb/>
gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten<lb/>
künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar<lb/>
machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh-<lb/>
hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo-<lb/>
dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt <note place="foot" n="1)"><note place="left">*</note>Man versäume nicht, sich zur <hi rendition="#g">Villa Torlonia</hi> vor Porta Pia Einlass zu<lb/>
verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst<lb/>
gegenüber der classischen in den ältern Villen.</note>. Der<lb/>
Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht,<lb/>
wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche<lb/>
des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym-<lb/>
metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst<lb/>
ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen<lb/>
mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen<lb/>
Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro),<lb/>
durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er<lb/>
im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer-<lb/>
den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets<lb/>
gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin&#x2019;s erweitert und wo-<lb/>
möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch<lb/>
architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher<lb/>
nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng-<lb/>
lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung<lb/>
als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes<lb/>
Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über-<lb/>
lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi-<lb/><note place="left">a</note>nienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge-<lb/>
wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad-<lb/>
linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf<lb/>
Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung<lb/>
oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0424] Villen und Gärten. so vor, wie man wohl annimmt und einzelne davon sind so schön und ruhig componirt, so zur Umgebung gedacht, dass sich nichts Vollkommneres in dieser Art ersinnen lässt. Das Ganze hat nun einen Zweck, welcher demjenigen des sog. englischen Gartens geradezu ent- gegengesetzt ist. Es will nicht die freie Natur mit ihren Zufälligkeiten künstlich nachahmen, sondern die Natur den Gesetzen der Kunst dienstbar machen. Wo man krumme Wege, Einsiedeleien, Chinoiserien, Stroh- hütten, Schlossruinen, gothische Capellen u. dgl. antrifft, da hat mo- dernste Nachahmung des Auslandes die Hände im Spiel gehabt 1). Der Italiener theilt und versteht die elegische Natursentimentalität gar nicht, wovon diess die Äusserungen sind oder sein sollen. Das Wesentliche des italienischen Gartens ist vor Allem die grosse, übersichtliche, sym- metrische Abtheilung in Räume mit bestimmtem Charakter. Zunächst ist der genannte Prunkgarten und seine Umgebung von Terrassen mit Balustraden und Rampentreppen der reichsten architektonischen Ausbildung fähig, durch halbrunden Abschluss (als sog. Teatro), durch Abstufung, durch Grotten und Fontainen; insgemein steht er im nächsten Zusammenhang mit dem Gebäude der Villa. Dann wer- den Thäler und Niederungen stylisirt durch Absätze, und das in stets gerader Linie durchfliessende Wasser zu Bassin’s erweitert und wo- möglich zu Cascaden aufgesammelt, deren mässiges Träufeln durch architektonischen und mythologischen Schmuck motivirt wird und daher nicht lächerlich erscheint, wie der künstliche Naturwasserfall des eng- lischen Gartens bei ähnlicher Armuth. Oder es wird eine Niederung als Circus gestaltet (und sogar als solcher gebraucht). Oder ein ganzes Thal, eine ganze Gegend wird auch einer bestimmten Vegetation über- lassen, doch nicht bis zum vollen Eindruck des Ländlichen; den Pi- nienhain der Villa Pamfili z. B. wird Niemand für einen wild ge- wachsenen Pinienwald halten. Sodann erhalten die (sämmtlich gerad- linigen) Gänge, die womöglich auf bedeutende Ausblicke, auch auf Brunnen und Sculpturen gerichtet sind, entweder eine blosse Einfassung oder eine Überwölbung von immergrünen Bäumen; im erstern Fall a 1) Man versäume nicht, sich zur Villa Torlonia vor Porta Pia Einlass zu verschaffen. Sie enthält den ganzen Cursus der romantischen Gartenkunst gegenüber der classischen in den ältern Villen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/424
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/424>, abgerufen am 18.12.2024.