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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Der Barockstyl.
ausgedehnte) Ganze gebracht. -- In kleinern Kirchen findet man über-
haupt die originellsten Ideen, freilich oft im allerbarocksten Ausdruck.

Übrigens wünschte man auch in dem gewöhnlichern Typus, wie
er seit dem Gesu in Rom sich festgestellt hatte, immer neu zu sein.
So suchte der Barockstyl z. B. für das Aufstützen der Kuppel auf
die vier Hauptpfeiler oder Mauermassen unablässig nach einem leich-
tern und elegantern Ausdruck als ihn etwa S. Peter darbot. Es wur-
den vor den Pfeiler nach beiden Seiten hin Säulen mit vorgekröpftem
Gebälk -- doch nur als Scheinträger -- aufgestellt, u. s. w. Eine der
ageistvollsten Lösungen des Problems bietet der Dom von Brescia,
wo in den Pfeiler zwei Winkel hineintreten, vor welchen freistehende
Säulen angebracht sind; keine Kuppel scheint leichter und sicherer
zu schweben als diese.

Die Beleuchtung der Kirchen ist, rein vom baulichen Gesichts-
punkt aus, fast durchweg eine glückliche: bedeutendes Kuppellicht
(wenn die Vorhänge nicht geschlossen sind!), Fenster im Tonnen-
gewölbe des Hauptschiffes, grosse und hoch angebrachte Lunetten-
fenster in den Querschiffen, kleinere in den Capellen; also lauter
Oberlicht, gesteigert je nach der Bedeutung der betreffenden Bau-
theile. Aber die Altargemälde kommen dabei erstaunlich schlecht
weg; von denjenigen in den Seitencapellen ist kein einziges auch nur
erträglich beleuchtet. -- Wo Seitenschiffe angebracht sind, erhalten
sie womöglich eigene Kuppelchen, welche ihnen durch Cylinderfenster
und Lanterninen wenigstens so viel Licht zuführen, dass die an-
stossende Seitencapelle nicht ganz dunkel bleibt.


Dieses ganze Formensystem offenbart sich am Vollständigsten und
von der günstigsten Seite in solchen Kirchen, welche entweder farb-
los oder doch nur mässig decorirt sind. Wie in der nächstvorher-
gehenden Epoche S. Maria di Carignano in Genua, so verdient in
bdieser der oftgenannte Dom von Brescia -- hell steinfarbig von unten
bis zu den einfachen Cassetten der Kuppelschale hinauf -- den Vor-
zug der Schönheit vor mehrern Kirchen, die in der Anlage eben so
ctrefflich, dabei aber überladen sind. Der Dom von Spoleto (um 1640)
verdankt seine Wirkung sogar einzig der Farblosigkeit. Einzelne vor-

Der Barockstyl.
ausgedehnte) Ganze gebracht. — In kleinern Kirchen findet man über-
haupt die originellsten Ideen, freilich oft im allerbarocksten Ausdruck.

Übrigens wünschte man auch in dem gewöhnlichern Typus, wie
er seit dem Gesù in Rom sich festgestellt hatte, immer neu zu sein.
So suchte der Barockstyl z. B. für das Aufstützen der Kuppel auf
die vier Hauptpfeiler oder Mauermassen unablässig nach einem leich-
tern und elegantern Ausdruck als ihn etwa S. Peter darbot. Es wur-
den vor den Pfeiler nach beiden Seiten hin Säulen mit vorgekröpftem
Gebälk — doch nur als Scheinträger — aufgestellt, u. s. w. Eine der
ageistvollsten Lösungen des Problems bietet der Dom von Brescia,
wo in den Pfeiler zwei Winkel hineintreten, vor welchen freistehende
Säulen angebracht sind; keine Kuppel scheint leichter und sicherer
zu schweben als diese.

Die Beleuchtung der Kirchen ist, rein vom baulichen Gesichts-
punkt aus, fast durchweg eine glückliche: bedeutendes Kuppellicht
(wenn die Vorhänge nicht geschlossen sind!), Fenster im Tonnen-
gewölbe des Hauptschiffes, grosse und hoch angebrachte Lunetten-
fenster in den Querschiffen, kleinere in den Capellen; also lauter
Oberlicht, gesteigert je nach der Bedeutung der betreffenden Bau-
theile. Aber die Altargemälde kommen dabei erstaunlich schlecht
weg; von denjenigen in den Seitencapellen ist kein einziges auch nur
erträglich beleuchtet. — Wo Seitenschiffe angebracht sind, erhalten
sie womöglich eigene Kuppelchen, welche ihnen durch Cylinderfenster
und Lanterninen wenigstens so viel Licht zuführen, dass die an-
stossende Seitencapelle nicht ganz dunkel bleibt.


Dieses ganze Formensystem offenbart sich am Vollständigsten und
von der günstigsten Seite in solchen Kirchen, welche entweder farb-
los oder doch nur mässig decorirt sind. Wie in der nächstvorher-
gehenden Epoche S. Maria di Carignano in Genua, so verdient in
bdieser der oftgenannte Dom von Brescia — hell steinfarbig von unten
bis zu den einfachen Cassetten der Kuppelschale hinauf — den Vor-
zug der Schönheit vor mehrern Kirchen, die in der Anlage eben so
ctrefflich, dabei aber überladen sind. Der Dom von Spoleto (um 1640)
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[382/0404] Der Barockstyl. ausgedehnte) Ganze gebracht. — In kleinern Kirchen findet man über- haupt die originellsten Ideen, freilich oft im allerbarocksten Ausdruck. Übrigens wünschte man auch in dem gewöhnlichern Typus, wie er seit dem Gesù in Rom sich festgestellt hatte, immer neu zu sein. So suchte der Barockstyl z. B. für das Aufstützen der Kuppel auf die vier Hauptpfeiler oder Mauermassen unablässig nach einem leich- tern und elegantern Ausdruck als ihn etwa S. Peter darbot. Es wur- den vor den Pfeiler nach beiden Seiten hin Säulen mit vorgekröpftem Gebälk — doch nur als Scheinträger — aufgestellt, u. s. w. Eine der geistvollsten Lösungen des Problems bietet der Dom von Brescia, wo in den Pfeiler zwei Winkel hineintreten, vor welchen freistehende Säulen angebracht sind; keine Kuppel scheint leichter und sicherer zu schweben als diese. a Die Beleuchtung der Kirchen ist, rein vom baulichen Gesichts- punkt aus, fast durchweg eine glückliche: bedeutendes Kuppellicht (wenn die Vorhänge nicht geschlossen sind!), Fenster im Tonnen- gewölbe des Hauptschiffes, grosse und hoch angebrachte Lunetten- fenster in den Querschiffen, kleinere in den Capellen; also lauter Oberlicht, gesteigert je nach der Bedeutung der betreffenden Bau- theile. Aber die Altargemälde kommen dabei erstaunlich schlecht weg; von denjenigen in den Seitencapellen ist kein einziges auch nur erträglich beleuchtet. — Wo Seitenschiffe angebracht sind, erhalten sie womöglich eigene Kuppelchen, welche ihnen durch Cylinderfenster und Lanterninen wenigstens so viel Licht zuführen, dass die an- stossende Seitencapelle nicht ganz dunkel bleibt. Dieses ganze Formensystem offenbart sich am Vollständigsten und von der günstigsten Seite in solchen Kirchen, welche entweder farb- los oder doch nur mässig decorirt sind. Wie in der nächstvorher- gehenden Epoche S. Maria di Carignano in Genua, so verdient in dieser der oftgenannte Dom von Brescia — hell steinfarbig von unten bis zu den einfachen Cassetten der Kuppelschale hinauf — den Vor- zug der Schönheit vor mehrern Kirchen, die in der Anlage eben so trefflich, dabei aber überladen sind. Der Dom von Spoleto (um 1640) verdankt seine Wirkung sogar einzig der Farblosigkeit. Einzelne vor- b c

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/404>, abgerufen am 18.12.2024.