Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein- anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient 1). Man be- trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bolognaa (vom Pater Magenta, nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe- rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel- lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von Mazzarelli).b
War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich wurden in der borrominesken Zeit Rundräume, runde Abschlüsse mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom Borromini's eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon-c tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge- legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirched neben S. Giorgio beobachten. Bernini hat sich nie so tief einge- lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale)e zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die- ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. inf Campitelli (von Rinaldi 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische; durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr
1) Das Gleichniss vom Theater ist kein unbilliges. In dem Werke des Pozzo wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. -- Ganz etwas Anderes ist es, wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen* Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt.
Unterbrechung des Langhauses. Rundbau.
Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein- anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient 1). Man be- trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bolognaa (vom Pater Magenta, nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe- rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel- lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von Mazzarelli).b
War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich wurden in der borrominesken Zeit Rundräume, runde Abschlüsse mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom Borromini’s eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon-c tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge- legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirched neben S. Giorgio beobachten. Bernini hat sich nie so tief einge- lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale)e zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die- ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. inf Campitelli (von Rinaldi 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische; durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr
1) Das Gleichniss vom Theater ist kein unbilliges. In dem Werke des Pozzo wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. — Ganz etwas Anderes ist es, wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen* Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0403"n="381"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Unterbrechung des Langhauses. Rundbau.</hi></fw><lb/><p>Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein-<lb/>
anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia<lb/>
verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient <noteplace="foot"n="1)">Das Gleichniss vom Theater ist kein unbilliges. In dem Werke des Pozzo<lb/>
wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der<lb/>
theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. — Ganz etwas Anderes ist es,<lb/>
wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen<noteplace="right">*</note><lb/>
Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt.</note>. Man be-<lb/>
trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bologna<noteplace="right">a</note><lb/>
(vom Pater <hirendition="#g">Magenta</hi>, nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe-<lb/>
rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber<lb/>
bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel-<lb/>
lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren<lb/>
Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister<lb/>
ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus<lb/>
Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art<lb/>
ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von <hirendition="#g">Mazzarelli</hi>).<noteplace="right">b</note></p><lb/><p>War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze<lb/>
Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so<lb/>
blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich<lb/>
wurden in der borrominesken Zeit <hirendition="#g">Rundräume</hi>, runde Abschlüsse<lb/>
mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und<lb/>
irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom<lb/><hirendition="#g">Borromini</hi>’s eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon-<noteplace="right">c</note><lb/>
tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge-<lb/>
legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirche<noteplace="right">d</note><lb/>
neben S. Giorgio beobachten. <hirendition="#g">Bernini</hi> hat sich nie so tief einge-<lb/>
lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale)<noteplace="right">e</note><lb/>
zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die<lb/>
Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die-<lb/>
ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. in<noteplace="right">f</note><lb/>
Campitelli (von <hirendition="#g">Rinaldi</hi> 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt<lb/>
eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische;<lb/>
durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des<lb/>
Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr<lb/></p></div></body></text></TEI>
[381/0403]
Unterbrechung des Langhauses. Rundbau.
Die bessern Kirchen dieser Art bieten eine prachtvolle Aufein-
anderfolge verschiedenartiger, sich steigernder Coulissen dar (sit venia
verbo), welchen der Chor zur Schlussdecoration dient 1). Man be-
trachte z. B. ohne Vorurtheil das Innere von S. Pietro in Bologna
(vom Pater Magenta, nach 1600); das Hauptschiff ist trotz schwe-
rer Ungeschicklichkeiten von grandiosem Effect; hauptsächlich aber
bieten die Nebenschiffe eine Abwechselung grosser und kleiner, hel-
lerer und dunklerer Räume auf einer und derselben Axe dar, deren
Durchblick das Auge mit Entzücken erfüllt. Von demselben Meister
ist S. Salvatore ebenda. Kleiner, später und überladener: Corpus
Domini (oder la Santa). Ein ziemlich würdiges Interieur dieser Art
ist auch dasjenige des Domes von Ferrara (1712, von Mazzarelli).
a
b
War man einmal so weit gegangen, gab man zudem das ganze
Äussere mit Ausnahme der Fassade und etwa der Kuppel Preis, so
blieb das Feld für noch viel kühnere Combinationen offen. Namentlich
wurden in der borrominesken Zeit Rundräume, runde Abschlüsse
mit Halbkuppeln, ja Verbindungen von elliptischen, halbrunden und
irrationell geschwungenen Räumen beliebt. Dieser Art sind in Rom
Borromini’s eigene verrufene Interieurs von S. Carlo alle 4 fon-
tane und von der Kirche der Sapienza; in Genua mag man bei Ge-
legenheit einen wundersamen Excess dieser Art in der kleinen Kirche
neben S. Giorgio beobachten. Bernini hat sich nie so tief einge-
lassen; seine elliptische Kirche S. Andrea in Rom (Via del Quirinale)
zeigt Eine sehr deutlich festgehaltene Hauptform, welcher sich die
Capellen gleichmässig unterordnen. Das ansprechendste Interieur die-
ser freieren Art hat wohl unter den römischen Kirchen S. M. in
Campitelli (von Rinaldi 1665); auf einen Vorderraum in Gestalt
eines griechischen Kreuzes folgt ein Kuppelraum und eine Chornische;
durch sinnreiche Vertheilung vortretender Säulen und Oekonomie des
Lichtes ist ein grosser perspectivischer Reiz in dieses (gar nicht sehr
c
d
e
f
1) Das Gleichniss vom Theater ist kein unbilliges. In dem Werke des Pozzo
wird aus der Identität der Principien des Innenbaues und derjenigen der
theatralischen Decoration kein Hehl gemacht. — Ganz etwas Anderes ist es,
wenn der bizarre Tacca in SS. Stefano e Cecilia zu Florenz den blossen
Chorraum als eine Theaterscena im ältern Sinn (ohne Coulissen) behandelt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/403>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.