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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Architektur von 1540 bis 1580.
Acht zu lassen, dass er das Werk eines Dilettanten aus Palladio's
Zeit ist (des Marcantonio Tiene) und sich in der Hofhalle deutlich
als solches verräth. Palladio selbst hat an Palästen sowohl als, wie
wir sehen werden, an Kirchen fast immer nur Eine Ordnung ange-
wandt, mochten es Pilaster, Halbsäulen oder freistehende Säulen sein,
mochten sie einer oder zweien Fensterreihen zur Einfassung dienen;
das Erdgeschoss behandelte er nur als Basis, mit derber Rustica. Die
wenigern Formen konnten um so grösser und grossartiger gebildet
werden.

a

Mit zwei Ordnungen versah er in Vicenza nur den Pal. Barba-
rano und den Pal. Chieregati. Ersterer, vom Jahr 1570, ist sein reichst-
verziertes Gebäude, nicht ohne Rücksicht auf die etwas enge Gasse
so entworfen. (Von dem Obergeschoss entlehnte Scamozzi sein Motiv
für dasjenige der Procurazien in Venedig, S. 327, a). Eine gewölbte
Säulenhalle führt in den Hof, dessen einer ausgeführter Flügel das
Lieblingsmotiv Palladio's aufweisst: eine obere und untere Halle mit
enger Säulenstellung und geraden Gebälken, Alles nur Backstein und
bMörtel. -- Zu Pal. Chieregati (vor 1566, einem seiner schönsten Ge-
danken, könnte er durch das Septizonium Severi angeregt worden sein;
die Fassade besteht mit Ausnahme des mittlern Theiles des Oberge-
schosses aus lichten Säulenhallen, einer dorischen und einer ionischen,
erstere mit steinernen, letztere mit hölzernen Gebälken; nach dem
(unvollendeten) Hofbau hin eine grossartige Loggia; das Bewohnbare
verhältnissmässig sehr gering. (Jetzt Eigenthum der Stadt.)

Unter den Palästen mit Einer Ordnung ist wohl der schönste Pal.
cMarcantonio Tiene 1556, jetzige Dogana, ausgezeichnet durch die nur
unvollständig ausgeführte Säulenhalle des Hofes, welche sich über
einer Rusticahalle erhebt. (Der Hinterbau, gegen Pal. Barbarano, von
dhübscher Frührenaissance.) -- Pal. Porto (1552), ion. Ordnung, mit einer
Attica, welche die Fenster eines obern Stockwerkes enthält. -- Pal. Val-
emarana, zwischen den Composita-Pilastern (1566) je ein oberes und ein
unteres Fenster, über letzterm ein Relief; eine dritte Fensterreihe in
der Attica; kein glückliches Ganzes. Vom Hinterbau nur eine untere
ionische Halle ausgeführt. (Ein zweiter Pal. Valmarana, unweit Pal.
Chieregati, ist ganz unbedeutend.) -- Pal. Schio, die Loggia in einem
Garten Valmarana und andere Gebäude hat Verfasser dieses nicht ge-

Architektur von 1540 bis 1580.
Acht zu lassen, dass er das Werk eines Dilettanten aus Palladio’s
Zeit ist (des Marcantonio Tiene) und sich in der Hofhalle deutlich
als solches verräth. Palladio selbst hat an Palästen sowohl als, wie
wir sehen werden, an Kirchen fast immer nur Eine Ordnung ange-
wandt, mochten es Pilaster, Halbsäulen oder freistehende Säulen sein,
mochten sie einer oder zweien Fensterreihen zur Einfassung dienen;
das Erdgeschoss behandelte er nur als Basis, mit derber Rustica. Die
wenigern Formen konnten um so grösser und grossartiger gebildet
werden.

a

Mit zwei Ordnungen versah er in Vicenza nur den Pal. Barba-
rano und den Pal. Chieregati. Ersterer, vom Jahr 1570, ist sein reichst-
verziertes Gebäude, nicht ohne Rücksicht auf die etwas enge Gasse
so entworfen. (Von dem Obergeschoss entlehnte Scamozzi sein Motiv
für dasjenige der Procurazien in Venedig, S. 327, a). Eine gewölbte
Säulenhalle führt in den Hof, dessen einer ausgeführter Flügel das
Lieblingsmotiv Palladio’s aufweisst: eine obere und untere Halle mit
enger Säulenstellung und geraden Gebälken, Alles nur Backstein und
bMörtel. — Zu Pal. Chieregati (vor 1566, einem seiner schönsten Ge-
danken, könnte er durch das Septizonium Severi angeregt worden sein;
die Fassade besteht mit Ausnahme des mittlern Theiles des Oberge-
schosses aus lichten Säulenhallen, einer dorischen und einer ionischen,
erstere mit steinernen, letztere mit hölzernen Gebälken; nach dem
(unvollendeten) Hofbau hin eine grossartige Loggia; das Bewohnbare
verhältnissmässig sehr gering. (Jetzt Eigenthum der Stadt.)

Unter den Palästen mit Einer Ordnung ist wohl der schönste Pal.
cMarcantonio Tiene 1556, jetzige Dogana, ausgezeichnet durch die nur
unvollständig ausgeführte Säulenhalle des Hofes, welche sich über
einer Rusticahalle erhebt. (Der Hinterbau, gegen Pal. Barbarano, von
dhübscher Frührenaissance.) — Pal. Porto (1552), ion. Ordnung, mit einer
Attica, welche die Fenster eines obern Stockwerkes enthält. — Pal. Val-
emarana, zwischen den Composita-Pilastern (1566) je ein oberes und ein
unteres Fenster, über letzterm ein Relief; eine dritte Fensterreihe in
der Attica; kein glückliches Ganzes. Vom Hinterbau nur eine untere
ionische Halle ausgeführt. (Ein zweiter Pal. Valmarana, unweit Pal.
Chieregati, ist ganz unbedeutend.) — Pal. Schio, die Loggia in einem
Garten Valmarana und andere Gebäude hat Verfasser dieses nicht ge-

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[358/0380] Architektur von 1540 bis 1580. Acht zu lassen, dass er das Werk eines Dilettanten aus Palladio’s Zeit ist (des Marcantonio Tiene) und sich in der Hofhalle deutlich als solches verräth. Palladio selbst hat an Palästen sowohl als, wie wir sehen werden, an Kirchen fast immer nur Eine Ordnung ange- wandt, mochten es Pilaster, Halbsäulen oder freistehende Säulen sein, mochten sie einer oder zweien Fensterreihen zur Einfassung dienen; das Erdgeschoss behandelte er nur als Basis, mit derber Rustica. Die wenigern Formen konnten um so grösser und grossartiger gebildet werden. Mit zwei Ordnungen versah er in Vicenza nur den Pal. Barba- rano und den Pal. Chieregati. Ersterer, vom Jahr 1570, ist sein reichst- verziertes Gebäude, nicht ohne Rücksicht auf die etwas enge Gasse so entworfen. (Von dem Obergeschoss entlehnte Scamozzi sein Motiv für dasjenige der Procurazien in Venedig, S. 327, a). Eine gewölbte Säulenhalle führt in den Hof, dessen einer ausgeführter Flügel das Lieblingsmotiv Palladio’s aufweisst: eine obere und untere Halle mit enger Säulenstellung und geraden Gebälken, Alles nur Backstein und Mörtel. — Zu Pal. Chieregati (vor 1566, einem seiner schönsten Ge- danken, könnte er durch das Septizonium Severi angeregt worden sein; die Fassade besteht mit Ausnahme des mittlern Theiles des Oberge- schosses aus lichten Säulenhallen, einer dorischen und einer ionischen, erstere mit steinernen, letztere mit hölzernen Gebälken; nach dem (unvollendeten) Hofbau hin eine grossartige Loggia; das Bewohnbare verhältnissmässig sehr gering. (Jetzt Eigenthum der Stadt.) b Unter den Palästen mit Einer Ordnung ist wohl der schönste Pal. Marcantonio Tiene 1556, jetzige Dogana, ausgezeichnet durch die nur unvollständig ausgeführte Säulenhalle des Hofes, welche sich über einer Rusticahalle erhebt. (Der Hinterbau, gegen Pal. Barbarano, von hübscher Frührenaissance.) — Pal. Porto (1552), ion. Ordnung, mit einer Attica, welche die Fenster eines obern Stockwerkes enthält. — Pal. Val- marana, zwischen den Composita-Pilastern (1566) je ein oberes und ein unteres Fenster, über letzterm ein Relief; eine dritte Fensterreihe in der Attica; kein glückliches Ganzes. Vom Hinterbau nur eine untere ionische Halle ausgeführt. (Ein zweiter Pal. Valmarana, unweit Pal. Chieregati, ist ganz unbedeutend.) — Pal. Schio, die Loggia in einem Garten Valmarana und andere Gebäude hat Verfasser dieses nicht ge- c d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/380>, abgerufen am 18.05.2024.