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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Hochrenaissance. Grossräumigkeit.
förderlich. Bei diesem Anlass muss zugestanden werden, dass manche
Bauherren an Material und Baufestigkeit zu ersparen suchten, was
sie an Raumgrösse aufwandten. Vielleicht haben die beiden folgen-
den Jahrhunderte im Ganzen solider gebaut als das XVI., das ihnen
an künstlerischem Gehalt so weit überlegen bleibt.

Erst mit dem XVI. Jahrhundert wird der Aufwand an Raum und
Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Gross-
räumigkeit, auch der bürgerlichen Wohnungen, jener weite Hochbau
der Hallen und Kirchen, welcher schon aus technischen Gründen den
Wölbungen und Kuppeln den definitiven Sieg über die Säulenkirche
verschafft und auch an profanen Gebäuden die Pfeilerhalle in der
Regel an die Stelle der Säulenhalle setzt. (Das XVII. Jahrhundert
verfolgt diese Neuerung noch weiter, bis in die Übertreibung). -- Diess
hindert nicht, dass auch in kleinen Dimensionen, bei beschränktem
Stoff und äusserst bescheidener Verzierung bisweilen Unvergängliches
geleistet wurde. Ein mitwirkender, doch nicht bestimmender Umstand
zu Gunsten des Pfeilerbaues war das Seltenwerden disponibler anti-
ker Säulen, welches z. B. schon früher in Rom den Pintelli (Seite 194)
zur Anwendung des achteckigen Pfeilers veranlasst zu haben scheint.
Vollends so grosse antike Säulen, wie sie zu dem jetzigen Baumass-
stab gepasst haben würden, gab man nicht mehr her oder hob sie
für einzelne Prachteffecte im Innern auf, für Verzierung von Pforten,
Tabernakeln u. s. w. -- Ausserhalb Roms blieb namentlich in Florenz
der Säulenbau weit mehr in Ehren; wir werden sehen aus welchen
Gründen.

Die Wahl der Formen im Grossen war jetzt noch freier als im
XV. Jahrhundert. Wenn nur etwas Schönes und Bedeutendes zu
Stande kam, das der Bestimmung im Ganzen entsprach, so fragte der
Bauherr nach keiner Tradition; es war in dieser Beziehung ganz
gleich, ob eine Kirche als Basilica, als gewölbte Ellipse, als Achteck
gestaltet wurde, ob ein Palast schlossartig oder als leichter durch-
sichtiger Hallenbau zu Stande kam. Der moderne Geist, der damals
nach jeder Richtung hin neue Welten entdeckte, fühlt sich zwar nicht
im Gegensatz gegen die Vergangenheit, aber doch wesentlich frei
von ihr.


Hochrenaissance. Grossräumigkeit.
förderlich. Bei diesem Anlass muss zugestanden werden, dass manche
Bauherren an Material und Baufestigkeit zu ersparen suchten, was
sie an Raumgrösse aufwandten. Vielleicht haben die beiden folgen-
den Jahrhunderte im Ganzen solider gebaut als das XVI., das ihnen
an künstlerischem Gehalt so weit überlegen bleibt.

Erst mit dem XVI. Jahrhundert wird der Aufwand an Raum und
Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Gross-
räumigkeit, auch der bürgerlichen Wohnungen, jener weite Hochbau
der Hallen und Kirchen, welcher schon aus technischen Gründen den
Wölbungen und Kuppeln den definitiven Sieg über die Säulenkirche
verschafft und auch an profanen Gebäuden die Pfeilerhalle in der
Regel an die Stelle der Säulenhalle setzt. (Das XVII. Jahrhundert
verfolgt diese Neuerung noch weiter, bis in die Übertreibung). — Diess
hindert nicht, dass auch in kleinen Dimensionen, bei beschränktem
Stoff und äusserst bescheidener Verzierung bisweilen Unvergängliches
geleistet wurde. Ein mitwirkender, doch nicht bestimmender Umstand
zu Gunsten des Pfeilerbaues war das Seltenwerden disponibler anti-
ker Säulen, welches z. B. schon früher in Rom den Pintelli (Seite 194)
zur Anwendung des achteckigen Pfeilers veranlasst zu haben scheint.
Vollends so grosse antike Säulen, wie sie zu dem jetzigen Baumass-
stab gepasst haben würden, gab man nicht mehr her oder hob sie
für einzelne Prachteffecte im Innern auf, für Verzierung von Pforten,
Tabernakeln u. s. w. — Ausserhalb Roms blieb namentlich in Florenz
der Säulenbau weit mehr in Ehren; wir werden sehen aus welchen
Gründen.

Die Wahl der Formen im Grossen war jetzt noch freier als im
XV. Jahrhundert. Wenn nur etwas Schönes und Bedeutendes zu
Stande kam, das der Bestimmung im Ganzen entsprach, so fragte der
Bauherr nach keiner Tradition; es war in dieser Beziehung ganz
gleich, ob eine Kirche als Basilica, als gewölbte Ellipse, als Achteck
gestaltet wurde, ob ein Palast schlossartig oder als leichter durch-
sichtiger Hallenbau zu Stande kam. Der moderne Geist, der damals
nach jeder Richtung hin neue Welten entdeckte, fühlt sich zwar nicht
im Gegensatz gegen die Vergangenheit, aber doch wesentlich frei
von ihr.


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[302/0324] Hochrenaissance. Grossräumigkeit. förderlich. Bei diesem Anlass muss zugestanden werden, dass manche Bauherren an Material und Baufestigkeit zu ersparen suchten, was sie an Raumgrösse aufwandten. Vielleicht haben die beiden folgen- den Jahrhunderte im Ganzen solider gebaut als das XVI., das ihnen an künstlerischem Gehalt so weit überlegen bleibt. Erst mit dem XVI. Jahrhundert wird der Aufwand an Raum und Baumaterial ein ganz allgemeiner; es beginnt jene allgemeine Gross- räumigkeit, auch der bürgerlichen Wohnungen, jener weite Hochbau der Hallen und Kirchen, welcher schon aus technischen Gründen den Wölbungen und Kuppeln den definitiven Sieg über die Säulenkirche verschafft und auch an profanen Gebäuden die Pfeilerhalle in der Regel an die Stelle der Säulenhalle setzt. (Das XVII. Jahrhundert verfolgt diese Neuerung noch weiter, bis in die Übertreibung). — Diess hindert nicht, dass auch in kleinen Dimensionen, bei beschränktem Stoff und äusserst bescheidener Verzierung bisweilen Unvergängliches geleistet wurde. Ein mitwirkender, doch nicht bestimmender Umstand zu Gunsten des Pfeilerbaues war das Seltenwerden disponibler anti- ker Säulen, welches z. B. schon früher in Rom den Pintelli (Seite 194) zur Anwendung des achteckigen Pfeilers veranlasst zu haben scheint. Vollends so grosse antike Säulen, wie sie zu dem jetzigen Baumass- stab gepasst haben würden, gab man nicht mehr her oder hob sie für einzelne Prachteffecte im Innern auf, für Verzierung von Pforten, Tabernakeln u. s. w. — Ausserhalb Roms blieb namentlich in Florenz der Säulenbau weit mehr in Ehren; wir werden sehen aus welchen Gründen. Die Wahl der Formen im Grossen war jetzt noch freier als im XV. Jahrhundert. Wenn nur etwas Schönes und Bedeutendes zu Stande kam, das der Bestimmung im Ganzen entsprach, so fragte der Bauherr nach keiner Tradition; es war in dieser Beziehung ganz gleich, ob eine Kirche als Basilica, als gewölbte Ellipse, als Achteck gestaltet wurde, ob ein Palast schlossartig oder als leichter durch- sichtiger Hallenbau zu Stande kam. Der moderne Geist, der damals nach jeder Richtung hin neue Welten entdeckte, fühlt sich zwar nicht im Gegensatz gegen die Vergangenheit, aber doch wesentlich frei von ihr.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/324>, abgerufen am 18.05.2024.