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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Frührenaissance. L. B. Alberti.
nio Rosellino, welcher sonst vorzüglich als Bildhauer berühmt und
von dem gleichnamigen Bernardo (s. unten) zu unterscheiden ist.


Noch ganz der frühern Renaissance gehört auch der grosse Flo-
rentiner Leon Battista Alberti an (geb. 1398). Er ist der erste
encyclopädische Theoretiker der italienischen Kunst, ausserdem aber
auch einer der ersten Architekten seiner Zeit. Sein wichtigstes Ge-
abäude, die Kirche S. Francesco in Rimini, eigentlich nur Ausbau
einer gothischen Klosterkirche, deren Bogen im Innern er bloss im
neuen Styl überkleidete, zeigt in der Fassade und in den Aussenseiten
höchst originelle und (soweit sein Bau reicht) eigenthümlich schöne
bFormen. In Mantua ist am S. Andrea noch die von ihm angege-
bene Grundform, namentlich in der edeln Vorhalle, doch nur mit grossen
cVeränderungen erhalten. In Florenz rührt der grosse runde Chor-
bau der Annunziata von ihm her (durch totale Verkleidung und
Vermalung im Barockstyl unkenntlich gemacht; doch mögen die ge-
wölbten untern Capellen sich von jeher unschön mit dem grossen
Rund geschnitten haben; die Kuppel ohne Lanterna). An der reich-
dincrustirten Fassade von S. Maria novella musste er sich einer
schon begonnenen gothischen Decoration anschliessen, deren sehr leise
Gliederung ihm jeden nachdrücklichen plastischen Schwung verbot
und ihn zum Ersatz durch Mosaicirung nöthigte; am untern Stock-
werk ist die ungemein schöne mittlere Thür mit dem cassettirten Bo-
gen von ihm; im obern Stock gab er das erste bedenkliche Beispiel
jener falschen Vermittelung mit dem untern mittelst verzierter Voluten,
wahrscheinlich weil ihm die von beiden Seiten angelehnten Halbgiebel
(die er doch in Rimini brauchte) zu der sonstigen decorativen Haltung
des Ganzen zu strenge schienen. Sein schönstes Bauwerk in Florenz,
eder Pal. Ruccellai (Via della vigna nuova), zeigt zum erstenmal die
später so beliebt gewordene Verbindung von Rustica und Wandpila-
stern in allen drei Stockwerken; auch die dreibogige Loggia gegen-
über ist von ihm. Im Auftrag derselben Familie errichtete Alberti
f1467 in der nahen Kirche S. Pancrazio (jetzt Lotteriegebäude) den
köstlichen kleinen Zierbau des "heiligen Grabes". An Pal. Stiozzi-

Frührenaissance. L. B. Alberti.
nio Rosellino, welcher sonst vorzüglich als Bildhauer berühmt und
von dem gleichnamigen Bernardo (s. unten) zu unterscheiden ist.


Noch ganz der frühern Renaissance gehört auch der grosse Flo-
rentiner Leon Battista Alberti an (geb. 1398). Er ist der erste
encyclopädische Theoretiker der italienischen Kunst, ausserdem aber
auch einer der ersten Architekten seiner Zeit. Sein wichtigstes Ge-
abäude, die Kirche S. Francesco in Rimini, eigentlich nur Ausbau
einer gothischen Klosterkirche, deren Bogen im Innern er bloss im
neuen Styl überkleidete, zeigt in der Fassade und in den Aussenseiten
höchst originelle und (soweit sein Bau reicht) eigenthümlich schöne
bFormen. In Mantua ist am S. Andrea noch die von ihm angege-
bene Grundform, namentlich in der edeln Vorhalle, doch nur mit grossen
cVeränderungen erhalten. In Florenz rührt der grosse runde Chor-
bau der Annunziata von ihm her (durch totale Verkleidung und
Vermalung im Barockstyl unkenntlich gemacht; doch mögen die ge-
wölbten untern Capellen sich von jeher unschön mit dem grossen
Rund geschnitten haben; die Kuppel ohne Lanterna). An der reich-
dincrustirten Fassade von S. Maria novella musste er sich einer
schon begonnenen gothischen Decoration anschliessen, deren sehr leise
Gliederung ihm jeden nachdrücklichen plastischen Schwung verbot
und ihn zum Ersatz durch Mosaicirung nöthigte; am untern Stock-
werk ist die ungemein schöne mittlere Thür mit dem cassettirten Bo-
gen von ihm; im obern Stock gab er das erste bedenkliche Beispiel
jener falschen Vermittelung mit dem untern mittelst verzierter Voluten,
wahrscheinlich weil ihm die von beiden Seiten angelehnten Halbgiebel
(die er doch in Rimini brauchte) zu der sonstigen decorativen Haltung
des Ganzen zu strenge schienen. Sein schönstes Bauwerk in Florenz,
eder Pal. Ruccellai (Via della vigna nuova), zeigt zum erstenmal die
später so beliebt gewordene Verbindung von Rustica und Wandpila-
stern in allen drei Stockwerken; auch die dreibogige Loggia gegen-
über ist von ihm. Im Auftrag derselben Familie errichtete Alberti
f1467 in der nahen Kirche S. Pancrazio (jetzt Lotteriegebäude) den
köstlichen kleinen Zierbau des „heiligen Grabes“. An Pal. Stiozzi-

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[182/0204] Frührenaissance. L. B. Alberti. nio Rosellino, welcher sonst vorzüglich als Bildhauer berühmt und von dem gleichnamigen Bernardo (s. unten) zu unterscheiden ist. Noch ganz der frühern Renaissance gehört auch der grosse Flo- rentiner Leon Battista Alberti an (geb. 1398). Er ist der erste encyclopädische Theoretiker der italienischen Kunst, ausserdem aber auch einer der ersten Architekten seiner Zeit. Sein wichtigstes Ge- bäude, die Kirche S. Francesco in Rimini, eigentlich nur Ausbau einer gothischen Klosterkirche, deren Bogen im Innern er bloss im neuen Styl überkleidete, zeigt in der Fassade und in den Aussenseiten höchst originelle und (soweit sein Bau reicht) eigenthümlich schöne Formen. In Mantua ist am S. Andrea noch die von ihm angege- bene Grundform, namentlich in der edeln Vorhalle, doch nur mit grossen Veränderungen erhalten. In Florenz rührt der grosse runde Chor- bau der Annunziata von ihm her (durch totale Verkleidung und Vermalung im Barockstyl unkenntlich gemacht; doch mögen die ge- wölbten untern Capellen sich von jeher unschön mit dem grossen Rund geschnitten haben; die Kuppel ohne Lanterna). An der reich- incrustirten Fassade von S. Maria novella musste er sich einer schon begonnenen gothischen Decoration anschliessen, deren sehr leise Gliederung ihm jeden nachdrücklichen plastischen Schwung verbot und ihn zum Ersatz durch Mosaicirung nöthigte; am untern Stock- werk ist die ungemein schöne mittlere Thür mit dem cassettirten Bo- gen von ihm; im obern Stock gab er das erste bedenkliche Beispiel jener falschen Vermittelung mit dem untern mittelst verzierter Voluten, wahrscheinlich weil ihm die von beiden Seiten angelehnten Halbgiebel (die er doch in Rimini brauchte) zu der sonstigen decorativen Haltung des Ganzen zu strenge schienen. Sein schönstes Bauwerk in Florenz, der Pal. Ruccellai (Via della vigna nuova), zeigt zum erstenmal die später so beliebt gewordene Verbindung von Rustica und Wandpila- stern in allen drei Stockwerken; auch die dreibogige Loggia gegen- über ist von ihm. Im Auftrag derselben Familie errichtete Alberti 1467 in der nahen Kirche S. Pancrazio (jetzt Lotteriegebäude) den köstlichen kleinen Zierbau des „heiligen Grabes“. An Pal. Stiozzi- a b c d e f

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/204>, abgerufen am 22.05.2024.