Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn- suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo's S. 870, d.) Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig der Dornengekrönte, das Eccehomo gemalt. (Pal. Corsini in Rom,a von Guido, Guercino und C. Dolci; -- Pinac. in Bologna, dieb vortreffliche Kreidezeichnung Guido's.) Das Motiv, wie man es gab, stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden die Bilder der Mater dolorosa zahlreicher. Die vielen Halbfiguren von Sibyllen, deren trefflichste von Guercino, Domenichino in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck des Emporsehnens (S. 931). Für Propheten und Heilige aller Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders Spagnoletto und Carlo Dolci dergleichen. Den erstern möge man in den Ga- lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti,c in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo mand auch seinen Nachahmer Orazio Marinari kennen lernt. Über Dol- ci's Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und Augenverdrehen, seinen schwarzen Schatten und geleckten Licht- partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch den Fleiss der Ausführung nicht. -- Von den Neapolitanern hat An- drea Vaccaro (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meistene Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord (ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigtef mit Angehörigen, in Trinita de' Pellegrini.)
Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie ekstatisch aufwärts schaut (Guercino, im Pal. Spada zu Rom), derg siegreiche David in ähnlichem Moment (Gennari, Pal. Pitti), jah selbst der sich erstechende Cato (Guercino, Pal. Brignole in Genua),i u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes.
Auch ganze oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer- den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze
Affect in Einzelfiguren.
Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn- suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo’s S. 870, d.) Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig der Dornengekrönte, das Eccehomo gemalt. (Pal. Corsini in Rom,a von Guido, Guercino und C. Dolci; — Pinac. in Bologna, dieb vortreffliche Kreidezeichnung Guido’s.) Das Motiv, wie man es gab, stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden die Bilder der Mater dolorosa zahlreicher. Die vielen Halbfiguren von Sibyllen, deren trefflichste von Guercino, Domenichino in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck des Emporsehnens (S. 931). Für Propheten und Heilige aller Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders Spagnoletto und Carlo Dolci dergleichen. Den erstern möge man in den Ga- lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti,c in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo mand auch seinen Nachahmer Orazio Marinari kennen lernt. Über Dol- ci’s Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und Augenverdrehen, seinen schwarzen Schatten und geleckten Licht- partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch den Fleiss der Ausführung nicht. — Von den Neapolitanern hat An- drea Vaccaro (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meistene Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord (ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigtef mit Angehörigen, in Trinità de’ Pellegrini.)
Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie ekstatisch aufwärts schaut (Guercino, im Pal. Spada zu Rom), derg siegreiche David in ähnlichem Moment (Gennari, Pal. Pitti), jah selbst der sich erstechende Cato (Guercino, Pal. Brignole in Genua),i u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes.
Auch ganze oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer- den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f1057"n="1035"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Affect in Einzelfiguren.</hi></fw><lb/>
Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn-<lb/>
suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres<lb/>
vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo’s S. 870, d.)<lb/>
Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig<lb/>
der Dornengekrönte, das <hirendition="#g">Eccehomo</hi> gemalt. (Pal. Corsini in Rom,<noteplace="right">a</note><lb/>
von <hirendition="#g">Guido, Guercino</hi> und C. <hirendition="#g">Dolci</hi>; — Pinac. in Bologna, die<noteplace="right">b</note><lb/>
vortreffliche Kreidezeichnung <hirendition="#g">Guido’s</hi>.) Das Motiv, wie man es gab,<lb/>
stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen<lb/>
frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden<lb/>
die Bilder der <hirendition="#g">Mater dolorosa</hi> zahlreicher. Die vielen Halbfiguren<lb/>
von <hirendition="#g">Sibyllen</hi>, deren trefflichste von <hirendition="#g">Guercino, Domenichino</hi><lb/>
in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck<lb/>
des Emporsehnens (S. 931). Für <hirendition="#g">Propheten</hi> und <hirendition="#g">Heilige</hi> aller<lb/>
Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch<lb/>
der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders <hirendition="#g">Spagnoletto</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Carlo Dolci</hi> dergleichen. Den erstern möge man in den Ga-<lb/>
lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti,<noteplace="right">c</note><lb/>
in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo man<noteplace="right">d</note><lb/>
auch seinen Nachahmer <hirendition="#g">Orazio Marinari</hi> kennen lernt. Über Dol-<lb/>
ci’s Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und<lb/>
Augenverdrehen, seinen schwarzen <choice><sic>Schattten</sic><corr>Schatten</corr></choice> und geleckten Licht-<lb/>
partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch<lb/>
einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch<lb/>
den Fleiss der Ausführung nicht. — Von den Neapolitanern hat <hirendition="#g">An-<lb/>
drea Vaccaro</hi> (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meisten<noteplace="right">e</note><lb/>
Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord<lb/>
(ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigte<noteplace="right">f</note><lb/>
mit Angehörigen, in Trinità de’ Pellegrini.)</p><lb/><p>Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im<lb/>
Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie<lb/>
ekstatisch aufwärts schaut (<hirendition="#g">Guercino</hi>, im Pal. Spada zu Rom), der<noteplace="right">g</note><lb/>
siegreiche David in ähnlichem Moment (<hirendition="#g">Gennari</hi>, Pal. Pitti), ja<noteplace="right">h</note><lb/>
selbst der sich erstechende Cato (<hirendition="#g">Guercino</hi>, Pal. Brignole in Genua),<noteplace="right">i</note><lb/>
u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes.</p><lb/><p>Auch <hirendition="#g">ganze</hi> oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer-<lb/>
den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze<lb/></p></div></body></text></TEI>
[1035/1057]
Affect in Einzelfiguren.
Ausdruck ohne weitere Motivirung darin anbringen kann. Die Sehn-
suchtshalbfigur bildet fortan eine stehende Gattung. (Ein früheres
vereinzeltes Beispiel bei gewissen Nachfolgern Lionardo’s S. 870, d.)
Zunächst wird jetzt statt eines schlichten Christuskopfes durchgängig
der Dornengekrönte, das Eccehomo gemalt. (Pal. Corsini in Rom,
von Guido, Guercino und C. Dolci; — Pinac. in Bologna, die
vortreffliche Kreidezeichnung Guido’s.) Das Motiv, wie man es gab,
stammt wesentlich von Coreggio, allein die Reproduction ist bisweilen
frei, erhaben und tiefsinnig zu nennen. Unter den Madonnen werden
die Bilder der Mater dolorosa zahlreicher. Die vielen Halbfiguren
von Sibyllen, deren trefflichste von Guercino, Domenichino
in und ausserhalb Italien zerstreut sind, haben meist den Ausdruck
des Emporsehnens (S. 931). Für Propheten und Heilige aller
Art gab es eigene Werkstätten; in sehr verschiedener Weise und doch
der Absicht nach eng verwandt arbeiteten besonders Spagnoletto
und Carlo Dolci dergleichen. Den erstern möge man in den Ga-
lerien von Parma und Neapel verfolgen, den letztern im Pal. Pitti,
in den Uffizien, und besonders im Pal. Corsini zu Florenz, wo man
auch seinen Nachahmer Orazio Marinari kennen lernt. Über Dol-
ci’s Süsslichkeit, seiner conventionellen Andacht mit Kopfhängen und
Augenverdrehen, seinen schwarzen Schatten und geleckten Licht-
partien, der übereleganten Haltung der Hände etc. darf man doch
einen bedeutenden angeborenen Schönheitssinn nicht vergessen, auch
den Fleiss der Ausführung nicht. — Von den Neapolitanern hat An-
drea Vaccaro (Mus. von Neapel) in solchen Bildern am meisten
Ernst und Würde, wie er sich denn selbst in seinem Kindermord
(ebenda) zu mässigen weiss. (Sein bestes Bild sonst der Gekreuzigte
mit Angehörigen, in Trinità de’ Pellegrini.)
a
b
c
d
e
f
Ob heilige oder profane Personen dargestellt werden, ändert im
Ganzen nicht viel. Die Lucretien, Cleopatren, auch die Judith wo sie
ekstatisch aufwärts schaut (Guercino, im Pal. Spada zu Rom), der
siegreiche David in ähnlichem Moment (Gennari, Pal. Pitti), ja
selbst der sich erstechende Cato (Guercino, Pal. Brignole in Genua),
u. dgl. m. zeigen nur andere Nuancen desselben Ausdruckes.
g
h
i
Auch ganze oder fast ganze Figuren in Einzeldarstellung wer-
den sehr häufig, eben diesem Ausdruck zu Liebe. An ihrer Spitze
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1035. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1057>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.