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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Moderne Malerei.
den Heiligen hängenden Tapete gemalt, als Bild im Bilde an, bloss um
raum-wirklich zu bleiben. -- Herrlich ist dann (noch in ihrem Ruin)
adie Pieta des Stanzioni über dem Portal von S. Martino zu Neapel;
den seelenvollsten Bildern des Van Dyck gleich zu achten; auch in
der edlen Haltung und Verkürzung des Leichnams alle Neapolitaner,
zumal den Spagnoletto (S. 1026, b) übertreffend. -- Luca Giordano
b(Bild im Museum), der sich hier bemüht, innig zu sein, umgiebt we-
nigstens die Leiche nicht mit caravaggesken Zigeunern, sondern mit
gutmüthigen alten Marinari. -- Von den Grabtragungen wurde die des
cCaravaggio schon erwähnt; ein Bild des Annibale in der Galerie
zu Parma ist aus der Zeit, da er dem Coreggio völlig zu eigen ge-
hörte. -- Von den Scenen nach der Auferstehung hat z. B. Guercino
dden Thomas gemalt, welcher nicht bloss Christi Wunde berührt, son-
dern ein paar Finger hineinschiebt (Gal. des Vaticans). Man frägt sich,
wer die Beschauer sein mochten, die an einer so rohen Verdeutlichung
und an so unedeln Charakteren Gefallen fanden. Allein man kann
enoch viel gemeiner sein. Der Capuccino genovese hat dasselbe
Factum (Pal. Brignole) so aufgefasst, als würde über eine Wette ent-
schieden. -- Die Himmelfahrt Christi wird fast ganz durch diejenige
der Maria ersetzt, wovon unten.


Aus dem Leben der Heiligen wird zunächst das Affectreiche und
Bewegte nach Kräften hervorgehoben 1). Ein Hauptbild dieser Art
fist die Belebung eines Knaben durch S. Dominicus, von Tiarini (Cap.
des Heiligen, in S. Domenico zu Bologna, rechts); dasselbe ist ange-
füllt mit allen Graden der Verehrung und Anbetung. Gegenüber links
gdas Hauptwerk des Lionello Spada: S. Dominicus, der die ketze-
rischen Bücher verbrennt, ein äusserlich leidenschaftliches Thun, dessen
Entwicklung in Gruppen und Farben das Beste ist, was einem so
entschlossenen Naturalisten gelingen mag. Allein geschichtliche Scenen
dieser Art nehmen nur einen geringen Raum ein neben den beiden
Hauptgegenständen dieser Zeit; welche oft genug auf Einem Bilde
vereinigt sind: den Martyrien und den himmlischen Glorien.

1) Eine Quelle solcher Inspirationen für die ganze Schule waren hauptsächlich
jene jetzt erloschenen Fresken bei S. Micchele in Bosco. S. 1015, g.

Moderne Malerei.
den Heiligen hängenden Tapete gemalt, als Bild im Bilde an, bloss um
raum-wirklich zu bleiben. — Herrlich ist dann (noch in ihrem Ruin)
adie Pietà des Stanzioni über dem Portal von S. Martino zu Neapel;
den seelenvollsten Bildern des Van Dyck gleich zu achten; auch in
der edlen Haltung und Verkürzung des Leichnams alle Neapolitaner,
zumal den Spagnoletto (S. 1026, b) übertreffend. — Luca Giordano
b(Bild im Museum), der sich hier bemüht, innig zu sein, umgiebt we-
nigstens die Leiche nicht mit caravaggesken Zigeunern, sondern mit
gutmüthigen alten Marinari. — Von den Grabtragungen wurde die des
cCaravaggio schon erwähnt; ein Bild des Annibale in der Galerie
zu Parma ist aus der Zeit, da er dem Coreggio völlig zu eigen ge-
hörte. — Von den Scenen nach der Auferstehung hat z. B. Guercino
dden Thomas gemalt, welcher nicht bloss Christi Wunde berührt, son-
dern ein paar Finger hineinschiebt (Gal. des Vaticans). Man frägt sich,
wer die Beschauer sein mochten, die an einer so rohen Verdeutlichung
und an so unedeln Charakteren Gefallen fanden. Allein man kann
enoch viel gemeiner sein. Der Capuccino genovese hat dasselbe
Factum (Pal. Brignole) so aufgefasst, als würde über eine Wette ent-
schieden. — Die Himmelfahrt Christi wird fast ganz durch diejenige
der Maria ersetzt, wovon unten.


Aus dem Leben der Heiligen wird zunächst das Affectreiche und
Bewegte nach Kräften hervorgehoben 1). Ein Hauptbild dieser Art
fist die Belebung eines Knaben durch S. Dominicus, von Tiarini (Cap.
des Heiligen, in S. Domenico zu Bologna, rechts); dasselbe ist ange-
füllt mit allen Graden der Verehrung und Anbetung. Gegenüber links
gdas Hauptwerk des Lionello Spada: S. Dominicus, der die ketze-
rischen Bücher verbrennt, ein äusserlich leidenschaftliches Thun, dessen
Entwicklung in Gruppen und Farben das Beste ist, was einem so
entschlossenen Naturalisten gelingen mag. Allein geschichtliche Scenen
dieser Art nehmen nur einen geringen Raum ein neben den beiden
Hauptgegenständen dieser Zeit; welche oft genug auf Einem Bilde
vereinigt sind: den Martyrien und den himmlischen Glorien.

1) Eine Quelle solcher Inspirationen für die ganze Schule waren hauptsächlich
jene jetzt erloschenen Fresken bei S. Micchele in Bosco. S. 1015, g.
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[1030/1052] Moderne Malerei. den Heiligen hängenden Tapete gemalt, als Bild im Bilde an, bloss um raum-wirklich zu bleiben. — Herrlich ist dann (noch in ihrem Ruin) die Pietà des Stanzioni über dem Portal von S. Martino zu Neapel; den seelenvollsten Bildern des Van Dyck gleich zu achten; auch in der edlen Haltung und Verkürzung des Leichnams alle Neapolitaner, zumal den Spagnoletto (S. 1026, b) übertreffend. — Luca Giordano (Bild im Museum), der sich hier bemüht, innig zu sein, umgiebt we- nigstens die Leiche nicht mit caravaggesken Zigeunern, sondern mit gutmüthigen alten Marinari. — Von den Grabtragungen wurde die des Caravaggio schon erwähnt; ein Bild des Annibale in der Galerie zu Parma ist aus der Zeit, da er dem Coreggio völlig zu eigen ge- hörte. — Von den Scenen nach der Auferstehung hat z. B. Guercino den Thomas gemalt, welcher nicht bloss Christi Wunde berührt, son- dern ein paar Finger hineinschiebt (Gal. des Vaticans). Man frägt sich, wer die Beschauer sein mochten, die an einer so rohen Verdeutlichung und an so unedeln Charakteren Gefallen fanden. Allein man kann noch viel gemeiner sein. Der Capuccino genovese hat dasselbe Factum (Pal. Brignole) so aufgefasst, als würde über eine Wette ent- schieden. — Die Himmelfahrt Christi wird fast ganz durch diejenige der Maria ersetzt, wovon unten. a b c d e Aus dem Leben der Heiligen wird zunächst das Affectreiche und Bewegte nach Kräften hervorgehoben 1). Ein Hauptbild dieser Art ist die Belebung eines Knaben durch S. Dominicus, von Tiarini (Cap. des Heiligen, in S. Domenico zu Bologna, rechts); dasselbe ist ange- füllt mit allen Graden der Verehrung und Anbetung. Gegenüber links das Hauptwerk des Lionello Spada: S. Dominicus, der die ketze- rischen Bücher verbrennt, ein äusserlich leidenschaftliches Thun, dessen Entwicklung in Gruppen und Farben das Beste ist, was einem so entschlossenen Naturalisten gelingen mag. Allein geschichtliche Scenen dieser Art nehmen nur einen geringen Raum ein neben den beiden Hauptgegenständen dieser Zeit; welche oft genug auf Einem Bilde vereinigt sind: den Martyrien und den himmlischen Glorien. f g 1) Eine Quelle solcher Inspirationen für die ganze Schule waren hauptsächlich jene jetzt erloschenen Fresken bei S. Micchele in Bosco. S. 1015, g.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 1030. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/1052>, abgerufen am 26.05.2024.