scheiden wissen. Ueberdem weis ich auch sehr gut, wie leicht einem der Wind der Laune und Mode, selbst wider Verdienst, Beifal entgegen wehen, und wie geschwind sich die- ser oft wenden könne. Ich weis sehr gut, daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja selbst meine Besten nicht allen gefallen werden. Manche verdienen und erhalten vielleicht gar keinen Beifal. Denn der Geist hat, wie der Leib, seine Anwandlungen von Schwach- heit; und nicht aller Menschen Seelen sind mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha- ben gleiche Stimmung.
Darum aber ist es mir wiederum noch lange nicht gemütlich, in dünnethuender Demut, auf allen Vieren, vor den Sche- mel der Kritik, sie sey welche sie wolle, zu kriechen, und für irgend eins meiner Werke um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und sterbe des Glaubens, das keinem darstellen- den Werke, welchem die Natur lebendigen
Odem
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ſcheiden wiſſen. Ueberdem weis ich auch ſehr gut, wie leicht einem der Wind der Laune und Mode, ſelbſt wider Verdienſt, Beifal entgegen wehen, und wie geſchwind ſich die- ſer oft wenden koͤnne. Ich weis ſehr gut, daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja ſelbſt meine Beſten nicht allen gefallen werden. Manche verdienen und erhalten vielleicht gar keinen Beifal. Denn der Geiſt hat, wie der Leib, ſeine Anwandlungen von Schwach- heit; und nicht aller Menſchen Seelen ſind mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha- ben gleiche Stimmung.
Darum aber iſt es mir wiederum noch lange nicht gemuͤtlich, in duͤnnethuender Demut, auf allen Vieren, vor den Sche- mel der Kritik, ſie ſey welche ſie wolle, zu kriechen, und fuͤr irgend eins meiner Werke um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und ſterbe des Glaubens, das keinem darſtellen- den Werke, welchem die Natur lebendigen
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[III/0042]
ſcheiden wiſſen. Ueberdem weis ich auch ſehr
gut, wie leicht einem der Wind der Laune
und Mode, ſelbſt wider Verdienſt, Beifal
entgegen wehen, und wie geſchwind ſich die-
ſer oft wenden koͤnne. Ich weis ſehr gut,
daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja ſelbſt
meine Beſten nicht allen gefallen werden.
Manche verdienen und erhalten vielleicht gar
keinen Beifal. Denn der Geiſt hat, wie
der Leib, ſeine Anwandlungen von Schwach-
heit; und nicht aller Menſchen Seelen ſind
mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle ha-
ben gleiche Stimmung.
Darum aber iſt es mir wiederum noch
lange nicht gemuͤtlich, in duͤnnethuender
Demut, auf allen Vieren, vor den Sche-
mel der Kritik, ſie ſey welche ſie wolle, zu
kriechen, und fuͤr irgend eins meiner Werke
um Gnade zu betteln. Denn ich lebe und
ſterbe des Glaubens, das keinem darſtellen-
den Werke, welchem die Natur lebendigen
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Bürger, Gottfried August: Gedichte. Göttingen, 1778, S. III. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778/42>, abgerufen am 22.11.2024.
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