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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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in anderen deutschen Staaten, Baden und Würtemberg aus-
genommen, vertheidigten die Liberalen hier durch Zeitungen
und Flugschriften die bedrohte Verfassung, es regnete Adressen
und Petitionen an die Stände und an hervorragende Patrio-
ten, die polnischen Emigranten wurden bei ihrem Durchzug
nach Frankreich freudig unterstützt, die Wahlen zum Landtag
fielen fast durchweg auf verfassungstreue Männer. Eine
andere Parole aber, als die Vertheidigung der, einerseits
durch den Bundestag, andrerseits durch du Thil's Uebergriffe
bedrohten Verfassung cursirte auch unter den extremen Liberalen
Hessens nicht, weder offen noch heimlich. Das änderte sich
leider freilich, als mit den Juni-Ordonnanzen von 1832 die
nackte, brutale Reaction ihren Einzug im Großherzogthum
hielt und, nachdem sie vorerst an einigen mißliebigen Männern
ihr Müthchen gekühlt, nun auch ohne Scheu der freien Presse
und dem Versammlungsrecht an's Leben griff. Unter diesem
Druck zerbröckelte die liberale Partei -- sofern eine Gesammt-
heit von Männern, welche blos in der Behauptung der Ver-
fassung einig, im Uebrigen verschiedenster Ueberzeugung, durch
keinerlei äußere Organisation zusammengehalten wurden, über-
haupt den Namen einer Partei verdiente -- in drei nach
kurzer Zeit bereits scharf geschiedenen Gruppen: die Zaghaften,
die bald allen Widerstand aufgaben, die "Constitutionellen",
welche sich darauf beschränkten, in der zweiten Kammer durch
ihre Führer E. E. Hoffmann und Heinrich von Gagern
gegen das Willkührregiment anzukämpfen, endlich die "Demo-
kraten", welche, an der Ersprießlichkeit des zahmen parlamen-
tarischen Widerstandes für immer verzweifelnd, schließlich zu
der Ueberzeugung kamen, daß gegen die Gewalt nur wieder
Gewalt fruchten könne. Nur mit dieser letzteren Partei

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in anderen deutſchen Staaten, Baden und Würtemberg aus-
genommen, vertheidigten die Liberalen hier durch Zeitungen
und Flugſchriften die bedrohte Verfaſſung, es regnete Adreſſen
und Petitionen an die Stände und an hervorragende Patrio-
ten, die polniſchen Emigranten wurden bei ihrem Durchzug
nach Frankreich freudig unterſtützt, die Wahlen zum Landtag
fielen faſt durchweg auf verfaſſungstreue Männer. Eine
andere Parole aber, als die Vertheidigung der, einerſeits
durch den Bundestag, andrerſeits durch du Thil's Uebergriffe
bedrohten Verfaſſung curſirte auch unter den extremen Liberalen
Heſſens nicht, weder offen noch heimlich. Das änderte ſich
leider freilich, als mit den Juni-Ordonnanzen von 1832 die
nackte, brutale Reaction ihren Einzug im Großherzogthum
hielt und, nachdem ſie vorerſt an einigen mißliebigen Männern
ihr Müthchen gekühlt, nun auch ohne Scheu der freien Preſſe
und dem Verſammlungsrecht an's Leben griff. Unter dieſem
Druck zerbröckelte die liberale Partei — ſofern eine Geſammt-
heit von Männern, welche blos in der Behauptung der Ver-
faſſung einig, im Uebrigen verſchiedenſter Ueberzeugung, durch
keinerlei äußere Organiſation zuſammengehalten wurden, über-
haupt den Namen einer Partei verdiente — in drei nach
kurzer Zeit bereits ſcharf geſchiedenen Gruppen: die Zaghaften,
die bald allen Widerſtand aufgaben, die "Conſtitutionellen",
welche ſich darauf beſchränkten, in der zweiten Kammer durch
ihre Führer E. E. Hoffmann und Heinrich von Gagern
gegen das Willkührregiment anzukämpfen, endlich die "Demo-
kraten", welche, an der Erſprießlichkeit des zahmen parlamen-
tariſchen Widerſtandes für immer verzweifelnd, ſchließlich zu
der Ueberzeugung kamen, daß gegen die Gewalt nur wieder
Gewalt fruchten könne. Nur mit dieſer letzteren Partei

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[LXXXIII/0099] in anderen deutſchen Staaten, Baden und Würtemberg aus- genommen, vertheidigten die Liberalen hier durch Zeitungen und Flugſchriften die bedrohte Verfaſſung, es regnete Adreſſen und Petitionen an die Stände und an hervorragende Patrio- ten, die polniſchen Emigranten wurden bei ihrem Durchzug nach Frankreich freudig unterſtützt, die Wahlen zum Landtag fielen faſt durchweg auf verfaſſungstreue Männer. Eine andere Parole aber, als die Vertheidigung der, einerſeits durch den Bundestag, andrerſeits durch du Thil's Uebergriffe bedrohten Verfaſſung curſirte auch unter den extremen Liberalen Heſſens nicht, weder offen noch heimlich. Das änderte ſich leider freilich, als mit den Juni-Ordonnanzen von 1832 die nackte, brutale Reaction ihren Einzug im Großherzogthum hielt und, nachdem ſie vorerſt an einigen mißliebigen Männern ihr Müthchen gekühlt, nun auch ohne Scheu der freien Preſſe und dem Verſammlungsrecht an's Leben griff. Unter dieſem Druck zerbröckelte die liberale Partei — ſofern eine Geſammt- heit von Männern, welche blos in der Behauptung der Ver- faſſung einig, im Uebrigen verſchiedenſter Ueberzeugung, durch keinerlei äußere Organiſation zuſammengehalten wurden, über- haupt den Namen einer Partei verdiente — in drei nach kurzer Zeit bereits ſcharf geſchiedenen Gruppen: die Zaghaften, die bald allen Widerſtand aufgaben, die "Conſtitutionellen", welche ſich darauf beſchränkten, in der zweiten Kammer durch ihre Führer E. E. Hoffmann und Heinrich von Gagern gegen das Willkührregiment anzukämpfen, endlich die "Demo- kraten", welche, an der Erſprießlichkeit des zahmen parlamen- tariſchen Widerſtandes für immer verzweifelnd, ſchließlich zu der Ueberzeugung kamen, daß gegen die Gewalt nur wieder Gewalt fruchten könne. Nur mit dieſer letzteren Partei f

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/99>, abgerufen am 24.11.2024.